my kingdom for a lullaby #2

Ums Rauschen gehe es in diesem Musikvideo, halten die KünstlerInnen fest - und: ums Rauschhafte. Das Wortspiel ergibt tatsächlich Sinn in My Kingdom for a Lullaby #2, passt zu einer Arbeit, in der elektronisch erzeugte Geräusche und Bilder auf durchaus sinnliche, wenn man will: rauschhafte Weise moduliert und verbunden werden.
Das "weiße Rauschen" verweist, als Begriff, auf Visuelles und Akustisches. Es ist ein Grundthema dieses Videos, einer abstrakten Arbeit, die genaues Hinsehen und -hören erfordert. Auf weißem Bildfeld tauchen, in zartem Grau, horizontale und vertikale Linien auf, die einander erst abwechseln, dann überlagern, verblassend, dann wieder verstärkt. Der Soundtrack spielt dabei keine untergeordnete Rolle, ist exakt gleich stark (und ebenso ungreifbar) wie die Bilder: Eine Komposition aus Knistern, Rauschen und Surren zeichnet sich ab, Musik aus dürren elektronischen Klängen und hochfrequenten "Störtönen". Die Grenzen zwischen Geräusch, Ton und Rhythmus sind hier fließend.
(Eine Art Wiegenlied, wie es der Titel vage zu verheißen scheint, ist dennoch mit freiem Ohr nicht auszumachen).

Abdunkelung und Aufhellung, Betonung und Abschwächung,
Erhöhung und Absenkung: Bild und Klang erproben, parallel und gegeneinander verschoben, mögliche Variationen und Färbungen. Gegen Ende hin erzittern die ins Bild gesetzten Linien wie die angeschlagenen Saiten eines Instruments: ein letzter ironischer Verweis aufs gegenständliche Bild, eine letzte Zuwendung aus dem Königreich der digitalen Abstraktion. Kingdom #2 tastet eine akustische und visuelle Grundausstattung ab, erkundet die Rohmaterialien dessen, was man leichthin Musik und Film nennt. Gefühl, Verstand, Bewegung, Ton: alles da. Der weiße Rausch benötigt weder Berg noch Drama, das Rauschen weiß alles.

(Stefan Grissemann)


Wie bereits bei My Kingdom for a Lullaby #4 setzt sich auch dieses Musikvideo mit dem Topos des Rauschens und des Rauschhaften auseinander. Anstatt mit einem Übermaß an Wahrnehmungsreizen zu arbeiten, wird diesmal allerdings der minimalistische Aspekt untersucht.

(Michaela Grill)

Weitere Texte

Friedl Kubelka: Atelier d´Expression (Dakar) / DE

Link: http://camera-austria.at/ausstellungen/friedl-kubelka-atelier-dexpression-dakar/


CAMERA AUSTRIA

Spielerische Gegenbewegungen
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Man lädt als Kuratorin eine Künstlerin zu einer Ausstellung ein und muss feststellen, dass die Künstlerin ein Netz subversiver Praktiken aufspannt, das sowohl die gängigen Mechanismen der Produktion von Kunst als auch die von Ausstellungen durchkreuzt. Wie verbindet man diese konträren Bewegungen? Im Hinblick auf die Durchkreuzung von Mechanismen der Produktion von Kunst lohnt eine Verschiebung des Blicks auf das Werk der Künstlerin und ihre Form des Arbeitens. Was aber die Durchkreuzung von Mechanismen der Produktion von Ausstellungen betrifft, sollte man eines tun: Offenheit zulassen. Es lohnt sich, nicht alle Enden eines Projekts vorab zu kennen und neue Wege zu finden.

Die Ausstellung—»Friedl Kubelka: Atelier d’Expression (Dakar)« stellt die neueste Arbeit der Künstlerin vor. Die Reflexion über ihre eigene Rolle als Künstlerin, die mit der Entscheidung verbunden ist, das bisherige fotografische Werk zunehmend den Systemen des Kunstmarktes zu entziehen, fällt zusammen mit Kubelkas Beschäftigung mit Menschen, die künstlerisch tätig sind, jedoch abseits des herrschenden Establishments stehen. Diesen sogenannten »Outsidern« und ihrer Kunst ist die Ausstellung von Friedl Kubelka gewidmet. Sie besuchte das Atelier d’Expression in Dakar, eine psychiatrische Einrichtung im Senegal, die den Patienten unter anderem künstlerisches Arbeiten ermöglicht. Die Ausstellung zeigt Porträts der Patienten. Ergänzt werden diese Arbeiten um Werke ihrer Akteure aus dem Senegal. Sie nehmen in der Ausstellung einen wesentlichen Platz ein und werden in einer von der Künstlerin initiierten A(u)ktion zugunsten der Künstler-Patienten versteigert. Doch auch die eigenen (Reise-)Erfahrungen und die unterschiedlichen Ebenen der Begegnung mit der Stadt Dakar und ihren Strukturen erhalten hier Sichtbarkeit.
Die Arbeit und die Ausstellung verlangen unterschiedliche Zugänge.

Arbeit am und gegen das Bild: Hinter jedem Bild wartet ein anderes—Zum einen legt Friedl Kubelka eine eigene Arbeit vor, die sich klar mit dem Werk verbinden lässt, so wie wir es von ihr bisher kennen: eine Arbeit über eine Kontaktnahme, in der zwei Personen ein Verhältnis begründen, getrennt durch die aufnehmende Apparatur, verbunden über Blicke in und durch die Kamera.
Obwohl ein großer Teil des Werks von Friedl Kubelka die Arbeit am Porträt ist, ist ihre künstlerische Methode immer auch eine Arbeit gegen das Porträt. Denn Kubelka arbeitet konstant gegen die Vorstellung des einen, gültigen Bildes. Ihre Stunden-, Tages- oder Jahresporträts sind bis hin zum tausendteiligen Porträt (»Tausend Gedanken«, 1980) zuerst Zeitschnitte im Raum der Begegnung zwischen der Künstlerin und ihrem Gegenüber, sie erzählen von einem Spiel zwischen Nähe und Distanz, von Annäherung und Entfernung oder sogar Entzug. Vielleicht erzählen sie sogar mehr von der Performanz der Begegnung, als dass sie ein Bild abgeben. Gerade in den Filmen zeigt sich das manipulative Potenzial, von denen ihre Porträtsitzungen durchzogen sind. Die Künstlerin begegnet ihren Akteuren mit Witz, Hingabe, manchmal auch mit Kälte. Die Bilder, die entstehen, funktionieren als Befragungen über einen Status sowohl der abgebildeten Person und zugleich des Bildes, der permanent in Bewegung ist. An unausgesprochene Normen rühren und sie berühren ohne diese gewaltsam zu brechen – dies ist die ungemeine Stärke wie auch die Verletzbarkeit dieses Werkes, das nicht als dokumentarisch zu bezeichnen ist, sondern am Ereignis des Bildes arbeitet.
In den aktuellen Porträtarbeiten, die die Patienten der psychiatrischen Abteilung der Klinik Fann (Dakar) zeigen, war es der Künstlerin wichtig, die Integrität des Gegenübers zu wahren, und Momente der Entgleisung, die in ihrem Werk immer auch aufscheinen, auszuschließen – und ihr Gegenüber gerade (oder wieder einmal!) nicht den Erwartungen entsprechend zu zeigen. Wir sehen hier keine »Outsider«. Diese auf der Hand liegende Zuschreibung greift nicht. Ihre Protagonisten sind ernst und un(an)greifbar. Sie geben durch ihren Ausdruck oder ihre Posen keinen Hinweis etwa auf eine (ihre) identitäre Störung. Zuweilen zeigen Utensilien wie ein Pinsel ihr Selbstverständnis als künstlerisch tätige Menschen an. Ansonsten sind wir – wie der Künstler Papis (Babacar Gaye), dessen Gesicht durch das Gras, in dem er liegt, weitgehend verdeckt ist – allein gelassen im Gestrüpp unserer diffusen Vorstellungen von den Menschen, denen Friedl Kubelka im Senegal begegnet ist.
Zum anderen erzählt die Ausstellung von unterschiedlichen Erfahrungsebenen, die der Reise in ein Land geschuldet sind, das eine Fülle von Projektionen und Zuschreibungen provoziert. Als offensiv nicht souveräne Beherrscherin des durchquerten westafrikanischen Raumes arbeitet die Künstlerin mit den inneren und äußeren Widersprüchen, die sie durch das Land führen, und lässt sie in Fotografien von Architekturen und Stadtstrukturen, von ihren eigenen verführerischen Schönheiten und tatsächlichen Abgründen sichtbar werden. Entstanden ist eine Arbeit, die zwar politisch gelesen werden will, in der sich aber in der Betrachtung immer wieder die persönliche Erfahrungsebene ganz klar dazwischen und nach vorne schiebt. Das produziert Störmomente. Wenn wir nur das Wort »Afrika« hören, sind wir alarmiert. Wir verlangen wir nach Klarheit, nach Objektivität, nach Wissen, Information, Umsicht, nach Grundsätzen. All das muss sich mit der Arbeit einer europäischen Künstlerin, die sich in diesem Raum bewegt, mitteilen. All das mag die Künstlerin interessieren oder wissen, für ihre Arbeit am Bild aber spielt diese Erwartung überhaupt keine Rolle. Kubelka schiebt die gängigen, die existenten Projektionen gerade nicht beiseite, um einem zurechtgerückten Bild zuzuarbeiten, mit dem sich im besten Falle verobjektivierbares Wissen mitteilt oder ein unangreifbares Werk aufbaut – sondern zeigt sich mit ihren Bildern als schuldig/unschuldige, als wissend/nicht-wissende, offen-neugierige/angst-und schamvoll Reisende und Fremde. Nur eines ist zentral: Alles ist erlaubt.

Durchbrechen etablierter Verwertungskreisläufe: unverkäuflich/verkäuflich—Entstanden sind diese Arbeiten aus den Impulsen einer kontinuierlich arbeitenden Künstlerin – ohne die zwingende Absicht einer Veröffentlichung, etwa in Form einer Ausstellung. Man könnte nun sagen, Kubelkas Werkbegriff sei persönlich. Und in der Tat wird immer wieder deutlich, wie sehr die Ebene der zutiefst persönlichen Erfahrung sich im Prozess des Machens in die Arbeit einschreibt und genau hier ihre Qualifizierung sucht. Als eine Form der konstanten Selbstbefragung. Zugleich aber ist diese Vorstellung des Arbeitens »für sich« eminent politisch: als eine Form des Insistierens auf die Autonomie als künstlerisch tätiges Subjekt, abseits von Verwertungskreisläufen, in die die Arbeit eingespeist wird, in dem sie öffentlich wird.
Im Falle der jetzt gemeinsam erarbeiteten Ausstellung nutzte die Künstlerin die Einladung an sie, um die Mechanismen der Produktion von Ausstellungen provokativ zu durchkreuzen – indem sie »fremde« Werke in die Ausstellung schleust: Es sind Werke von Menschen, die künstlerisch tätig sind, ohne dass diese selbst einen Raum für die Präsentation ihrer Arbeiten in unserem Kontext je finden würden. Hat die Künstlerin also einerseits für sich selbst ihre Unverkäuflichkeit beschlossen, so nutzt sie andererseits ihre Einladung in einem institutionellem Kontext, um einen Raum für diejenigen zu erschließen, die kaum Sichtbarkeit für ihre Arbeit erzeugen können. Damit ist die Subversivität ihres Handeln aber noch nicht zu Ende: Teil der Ausstellung ist nicht nur Friedl Kubelkas Idee, »fremde« Werke in die Ausstellung zu bringen, sondern mehr noch: diese in einer von ihr initiierten A(u)ktion zu veräußern, sie offensiv als »verkäuflich« zu markieren. Um auch diesen Arbeiten einen Wert zuzuschreiben, ein Wert, der sich – ja – auch in einem Preis niederschlagen kann. Um den Künstler-Patienten einen Lohn ihrer Arbeit zuzusprechen. Und um konkret zu werden und das Atelier d’Expression im senegalischen Dakar und ihre dort arbeitenden Künstler nicht nur ideell zu würdigen.

inside/outside: Sprechen über die Kunst von AußenseiterInnen¹ —Betrachten wir die in der Ausstellung vorgestellten Werke der senegalesischen Künstler als Werke von Patienten, die eine psychiatrische Einrichtung besuchen, können wir sie im Kontext der Debatten um sogenannte »Outsider-Kunst« verorten. Aber kommen wir damit weiter?
Heute wird die »Outsider Art« als fester Stilbegriff verwendet, so, als ob er analog zu anderen Stilrichtungen tatsächlich einen spezifischen Stil bezeichnen würde. Wer sich jedoch eingehender beschäftigt, wird sehen, dass die Werke der verschiedensten KünstlerInnen, die hier subsumiert werden, kaum miteinander verbunden sind. Was also kann »Outsider Art« tatsächlich sein? Denn: Sie ist kein Stil, sie umfasst keinen spezifischen geografischen Raum, sie steckt keine klar definierte Zeitspanne ab und sie bezeichnet auch keine bestimme künstlerische Ausrichtung.
Die Frage ist also, ob eine Kategorisierung im Sinne der Outsider-Kunst den UrheberInnen der Werke zum Beispiel zu (neuer) Würde verhilft? Oder aber ob sie umgekehrt diese erneut ausgrenzt oder gar bevormundet? Klar ist, dass die Anerkennung der »Außenseiterkunst« eine Geste der Befreiung darstellt, die mitgeholfen hat, einzigartige Werke zu entdecken. Im Falle der von Friedl Kubelka in den Kontext dieser Ausstellung geschleusten Werke lohnt die Einlassung, dass Kunst an unerwarteten Orten entstehen kann, und dass ihre Bedeutung nicht zwingend davon abhängt, ob ihre UrheberInnen die Kunst und ihre Geschichte – welche Geschichte der Kunst auch immer – kennen. Was zählt, ist das Werk, dessen ästhetischer Reichtum und Komplexität, die Gedanken und Bezüge, die es formuliert, dessen Präzision und was es riskiert. Die Frage nach »inside« oder »outside« ist unbedeutend und hinderlich, da sie ein Verständnis verunmöglicht. Traditionell werden die Arbeiten der »Art Brut« als Beispiele »ursprünglicher« Kunst gehandelt, außerhalb von Zeit und Geschichte stehend. Dabei erzählen sie alle – oft mehr als uns lieb ist – »von einer Welt, die wir zu kennen glauben. Hinter vordergründiger Weltabgewandtheit breiten sie verdrängte Realitäten aus, entfalten unterdrückte Sehnsüchte, fordern uneingelöste Versprechen ein und erinnern an übergangene Ungerechtigkeiten« (Daniel Baumann). All das sprechen die hier mitausgestellten Werke an. Mit der Ausstellung von Friedl Kubelka verlassen wir das Gehege, in das die »Outsider Art« eingefriedet wurde, und lassen uns auf ihre Werke als Kunst, und nur als Kunst, ein. So stellt sie die Künstlerin Friedl Kubelka uns vor. Und genau so, wie Friedl Kubelka den Künstler-Patienten Namen gegeben hat und sie als schöpferische Persönlichkeiten in ihren Fotografien zeigt, so können wir versuchen, ihnen und ihren Werken frei und unbefangen zu begegnen. Ob das gelingt, ohne sie als Fremdkörper zu stilisieren, oder zu einem Symptom verkommen zu lassen, bleibt – nicht nur in diesem Projekt, sondern überall dort, wo wir mit sogenannter »Outsider-Kunst« in Berührung kommen – offen.

… auch noch Afrika!—Wir werden dabei nicht umhin kommen, unsere europäischen Augen auf die Bilder zu heften, und die Werke mit dem geschulten Blick unserer kunsthistorisch-europäischen Bildung abzugleichen – wohl in dem Wissen, dass diese Werke in einem Kontext entstanden sind, von dem wir nicht wissen, auf welchen ästhetischen Vorstellungen er gründet. Wir können versuchen, sie in den Kontext ihrer Entstehung zu stellen, sie ggbf. kreuzen mit unserem Wissen um die koloniale und von Rassismen durchzogene Geschichte der Beziehungen zwischen Europa und dem westafrikanischen Raum. Okwui Enwezor hat 2001 mit »The Short Century« die Rezeption der afrikanischen Moderne begründet. Ein Gegenlesen der Bilder in unserer Ausstellung mit seinen Recherche- und Forschungsergebnissen mag lohnend sein, und neue Kontexte öffnen – freilich, ohne die für die Moderne typische intrinsische Verbindung von Befreiung und Züchtigung, Idealisierung und Abgrenzung.

Risiko—In einer Zeit, in der die Produktion und das Sprechen über zeitgenössische Kunst von Re-Feudalisierung und Eventisierung durchzogen werden, und in der wichtige Verhandlungsfragen über den Status der zeitgenössischen Kunst erst zur Debatte gelangen, wenn das Establishment oder der Kunstmarkt bereits versorgt sind, ist es wichtig, Projekte wie das von Friedl Kubelka zuzulassen – auch auf die Gefahr hin, dass einige bei einer kritischen Betrachtungsweise vielleicht am Ende dahin kommen, die Grenzen von Institution und Kunstauffassung – wieder – enger abzustecken. Wenn wir aber eine Einlassung wagen, können wir vielleicht eine doppelte Widerständigkeit erkennen, die sich nicht zufrieden gibt mit einem »commom sense«, sondern subversives Denken und Handeln immer wieder neu ermöglicht und dabei in neue Räume vorstößt. Dies ist eine Debatte, die ideologische Fragen berührt. Führen wir sie!

Maren Lübbke-Tidow

¹ Ich danke Daniel Baumann für Hinweise und Gespräche.
Orig. Titel
my kingdom for a lullaby #2
Jahr
2004
Land
Österreich
Länge
10 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Kein Dialog
Credits
Regie
Billy Roisz, Michaela Grill
Sound
Martin Siewert, Toshimaru Nakamura, Christof Kurzmann
Verfügbare Formate
Betacam SP (Distributionskopie)
Bildformat
4:3
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe, s/w
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2004
Osnabrück - EMAF - European Media Art Festival
Helsinki - Avanto Media Art Festival
Tampere - Film Festival
Ann Arbor - Film Festival