Meine psychoanalytischen Notizen

Unaufhaltsam frisst sich Feuer durchs Papier. Einzelne Worte, abgerissene Sätze, lose Gedanken haben sich aus ihren Zusammenhängen heraus gelöst und flammen noch einmal auf, ehe sie auf immer weg schmelzen: „Untreue“, „Vater“ „Am 17. 10. klagt K. über Überlastung“, „Ich denke auch an Inzest und an die Schwester retten wollen.“ Die gut leserliche Handschrift auf weißen Seiten hat die Sinnsuche aufgegeben und überlässt sich den Flammen. Es sind seitenlange psychoanalytische Protokolle aus ihrer Berufspraxis als Psychoanalytikerin, die die Künstlerin Friedl vom Gröller nun einem Scheiterhaufen übergibt, der inmitten einer Schneelandschaft auflodert. Die Aufzeichnungen aus hunderten Stunden „talking cure“ verlöschen stumm, fast fröhlich. Sie legen ihre Mitwisserschaft der langen Gesprächsarbeit zwischen der Analytikerin und ihren Patienten nieder. Doch das brennende Papier ist nicht das einzige Erinnerungsmedium, das von Gröllers Mitschriften weiß. Der kurze Film Meine psychoanalytischen Notizen beginnt mit Großaufnahmen auf die Gesichter lesender Menschen – Psychoanalytiker – , die konzentriert Gröllers Protokolle studieren. Erst dann – mit einem immer schneller werdenden Schwenk – wendet sich die Kamera von den Gesichtern ab, hin zu einer verschneiten Waldlandschaft und dem brennenden Bücherstapel. Als wollte die Filmemacherin den eigenen Berufsstand noch einmal als Zeugen aufrufen, die sich an ihre Arbeit erinnern werden, ehe das kalte Feuer jede Spur vernichtet. Ganz nahe fährt die Kamera über die Seiten, blättert noch einmal hinein. Doch genauso fasziniert wie von den Aufzeichnungen und den darauf sterbenden Sätzen zeigt sie sich von den bizarren Aschenformationen, die im Akt der Verbrennung entstehen. Zuletzt schweift die Kamera wieder ab, wandert noch einmal über Schnee und Holz und wendet sich schließlich dem Gegenlicht des Himmels zu. Das Bild bleicht aus, wird weiß wie der Schnee – oder auch weiß wie ein blütenreines Blatt Papier, in den sich ein neuer Lebensabschnitt einschreiben lässt.

(Alexandra Seibel)


Vertreter des Berufsstandes der Psychoanalyse lesen in meinen psychoanalytischen Protokollen. Durch Feuer werden die Dokumente hunderter Stunden "talking cure" vernichtet. Verbrennen ist für mich ein reinigender Prozess und der endgültige Abschied von meiner praktischen Arbeit als Psychoanalytikerin. Feuer und Eis können auch als Zeichen der sich stets erneuernden Ambivalenz unserer Seelentätigkeit gesehen werden.

(Friedl vom Gröller)


Einzelne Worte sind auf den Seiten noch zu erkennen, trotzen dem züngelnden Feuer, um sich schließlich doch der Glut hinzugeben. Davor schweifen Blicke von Lesenden über die Niederschrift, ganz so als würde diese ein letztes Mal geprüft. In stummen Schwarz-Weiß-Bildern legt Friedl vom Gröller ein filmisches Zeugnis vom Ende einer Lebensphase ab. Ein Ende, das gleichzeitig auch einen Neubeginn markiert.

(Diagonale Katalog, 2013)

Orig. Titel
Meine psychoanalytischen Notizen
Jahr
2012
Land
Österreich
Länge
3 min
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
kein Ton
Credits
Regie
Friedl vom Gröller
Konzept & Realisation
Friedl vom Gröller
Verfügbare Formate
16 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Stumm
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w
Festivals (Auswahl)
2012
Mar del Plata - Int. Film Festival
2013
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Windsor - Media City
2014
Paris - Rencontres International Paris/Berlin/Madrid