home.movie

home.movie ist ein hochmobiler Film. Die Kamera schweift, tastet, holpert, saust quer durch Martin Bruchs Wohnung, nie steht sie still, jede Einstellung ist ein Schwenk oder eine Fahrt.
Es ist noch gar nicht lange her, da warf sich Martin Bruch mit seinem Handbike selbst in den brausenden Stadtverkehr von Istanbul, Paris und New York. Er kurbelte mit den Händen, filmte die Fahrten mit der Helmkamera und schnitt daraus 2003 sein radikal subjektives handbikemovie. Mittlerweile lässt die Multiple Sklerose des Filmemachers solche wilden Ausfahrten nicht mehr zu, die Unternehmungslust ist ihm jedoch geblieben.

Wenn er und Ko-Regisseurin Reinhilde Condin eine Tour durch Bruchs Wohnung geben, wird diese zum hochpersönlichen Erlebnispark. Langsam wandert der Blick an einer Foto-Pinnwand empor: Rollerfahrer Bruch, Mountainbikefahrer Bruch auf einem Gipfel. An der Wohnungsdecke angekommen greift die Kamera das Thema Sport auf und macht sich auf Schienen selbstständig. An der Lampe vorbei rast sie aufs Fenster zu, über eine Weiche, neben dem Küchenbuffet entlang. Sie ist an der Aufhängung des Deckenlifts befestigt, der eigentlich dazu dient, Bruchs Körper aufrecht durch die Räume zu transportieren. Ein Perspektivwechsel macht ihn zur Achterbahn. Der Autofokus hält dieses Tempo nicht mit, und als läge es an der schlechten Sicht, kracht die Kamera irgendwann in den Deckenbeamer und stürzt ab. Nichts ist perfekt, weder die Technik noch der Mensch. Doch wenn sich beide verbünden, entsteht eine neue, gemeinsame Wahrnehmung.

Der gelernte Tontechniker Bruch verstärkt das Surren des Deckenlifts, das Piepen des automatischen Türöffners, das Rattern des Drehregals, und ergänzt diese harten, maschinellen Sounds durch den warmen Klang von Saiteninstrumenten. Dabei ist der Film auch musikalisch als Crescendo angelegt, auf Jazz folgt Klezmer, alles wird schneller, und statt auf der Vespa durch Italien, fährt die Kamera eben eine Reihe von Espressotassen im Regal entlang. Reisen ist immer eine Sache des Willens.

(Maya McKechneay)


home.movie ist das filmische Selbstportrait eines selbstbestimmt lebenden Hand-Rollstuhlfahrers mit eingeschränkter Mobilität durch Multiple Sklerose, deren Verlauf ihn zunächst vom Radfahrer zum Trittrollerfahrer, dann vom Handbikefahrer zum Standradfahrer und demnächst zum E-Rollstuhlfahrer machte. Diese persönlichen Umstände hat Martin Bruch von Beginn an künstlerisch verarbeitet und in den Fotoserien Bruchlandungen und Kofferräume, sowie in den Filmen handbikemovie und fenster drei sätze dokumentiert.
Die zunehmende Immobilität verändert die Abläufe und Gewohnheiten des Alltags und damit auch die Sicht auf die Umgebung. Der Innenraum ersetzt den Außenraum. Rollstuhl und Deckenlift mit montierter Kamera sind die Mittel für Reisen im Zimmer, die durch Reiseerinnerungen, Dinge und Bilder gegenwärtig sind. Martin Bruch befährt und zeigt den über 10 Jahre mit Kunstobjekten und Bildern zugewachsenen Raum, in der Reihenfolge der persönlichen Prioritäten im Tagesablauf und gibt kurz Einblick in seine künstlerische Arbeit. Die Fahrt mit dem Deckenlift wird zur "Übermitfahrt", zur fiktiven, rasanten Bahnreise und Hoch-schau-bahn, die mit dem Absturz der Kamera endet und ihn in die Realität zurück bringt, weiterfahrend im Standfahrrad, virtuell, weltweit, in seinem "home".

(Reinhilde Condin & Martin Bruch)

Orig. Titel
home.movie
Jahr
2008
Land
Österreich
Länge
10 min
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Downloads
home.movie (Bild)
home.movie (Bild)
Credits
Regie
Reinhilde Condin, Martin Bruch
Konzept
Reinhilde Condin
Kamera
Martin Bruch
Schnitt
Cornelia Schöpf
Verfügbare Formate
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Tonformat
Dolby Digital
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2008
Viennale - Vienna Int. Film Festival
2009
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Iowa City - ICDOCS, Int. Documentary Festival
ZagrebDOX - Documentary Film Festival
Hamburg - Dokumentarfilmwoche
Melbourne - Int. Film Festival
Kalkutta - Kolkata Film Festival
Zabok - Tabor Film Festival (Documentary Award)
Neubrandenburg (D) & Szczecin (PL) - dokumentART Film & Video Festival
Jihlava Documentary Film Festival
Dallas - Video Festival