Kreis Wr.Neustadt
Um eine sehr spezielle Form des Straßenbaus dreht sich dieser Film, ganz buchstäblich. Eine Art Raumschiff aus Beton, eine zum Kreisverkehr ausgebaute Unterführung, stellt das noch tonlose nächtliche Einstiegsbild des Films. 22 Sekunden lang wird die futuristische Anlage umrundet, ehe der Titel der Arbeit – Kreis Wr.Neustadt – auftaucht und mit ihm das Knattern des Motors, das den Rest des Films begleiten wird: Von einer Vespa aus lässt Johann Lurf knapp 100 niederösterreichische Kreisverkehrsinseln in immer groteskeren Ausführungen dokumentieren, jeweils nur wenige Sekunden lang – und erstellt dabei so etwas wie einen Katalog lokaler Bausünden. Die Mittelinseln, die er zeigt, sind mit Kies, Zierhecken oder Steinskulpturen, mit Weinstöcken, Springbrunnen oder Deko-Blumenbeeten besetzt, mit Hinweisschildern, Verkehrszeichen oder Werbeobjekten versehen.
Kreis Wr.Neustadt studiert indes nicht nur diese Inseln selbst, sondern vor allem den Terror des Immergleichen, eine Architektur des alltäglichen Schreckens, die im Kreisverkehrsumfeld offenbar zuverlässig manifest wird: Die Industriegebiete Ostösterreichs sind von Strommasten, Baukränen und Werbeplakaten verstellt, die Vorstadtwohnblocks erscheinen austauschbar und all die Möbeldiskonter, Tankstellen und Junk-Food-Restaurants, die Bau- und Supermärkte wirken wie das unabänderliche Bühnenbild einer gespenstischen Provinz-Inszenierung. Die Monotonie des Kreisverkehrs mutet hier wie ein Kommentar auf die Ödnis der österreichischen Realszenerie an, moduliert nur von der röhrenden Vespa, deren Gangschaltung diverse weinerliche Motortonhöhen produziert, als beklage sogar das Gefährt selbst die Ansichten, denen es ausgesetzt wird. Die 3D-Version, in der man Kreis Wr.Neustadt alternativ bewundern kann, gewährt übrigens noch plastischere Eindrücke von Österreichs baulichem Pragmatismus.
(Stefan Grissemann)
Die Idee zu diesem Film ist derart simpel, dass das Ergebnis schon wieder überrascht. Knapp fünf Minuten lang fährt Johann Lurf jeweils ein paar Meter in einem Kreisverkehr in Niederösterreich. Selbstverständlich in Fahrtrichtung und also immer gegen den Uhrzeigersinn. Was sich ändert, ist – abgesehen vom Umfeld, das in seiner Monotonie in gewisser Weise dennoch dasselbe bleibt – einzig der Ort, den es zu umfahren gilt: Skulpturen, seltsame Steingebilde, Blumenbeete, Abfangjäger: Es gibt praktisch nichts, was man nicht in einen Kreisverkehr stellen könnte. Das Prinzip aus pan umkehrend, richtet Lurf in Kreis Wr.Neustadt, den Blick auf ein Zentrum, das im Grunde gar keines ist – und zu dem man auch nie gelangen kann. Ein mit einfachsten Mitteln hergestelltes Roadmovie, aus dem man so schnell nicht wieder herausfindet.
(Michael Pekler, Oktober 2011)
´Roundabouts´ heißen sie im Englischen, doch nicht um das Rundherum dreht es sich in diesem originellen Fünfminüter, sondern um das Mittendrin. Lurf montiert von einer Vespa aus aufgenommene Fahrten um Kreisverkehre im südlichen Wiener Umland, wobei die Kamera strikt auf das jeweilige ´Zentrum´ gerichtet bleibt, sohin die Gestaltung der verkehrstechnischen Leerstelle in den Blick nimmt: Zunächst schlichte Rasenfläche, dann Strauch, Bäumchen und Gartendekor, erhebt sich der Ampelersatz bei Lurf rhythmisch zum Felsbrocken, zur Reklametafel, zum Brunnen, und schließlich zum bizarren Kunstwerk.
(Roman Scheiber, Viennale Katalog, 2011)
Ein neuer Blick auf den Kreisverkehr, eine der auffälligsten Verkehrsarchitekturen unserer Zeit. Die Kamera simuliert, was in Realität unmöglich ist: Auf eine Kreisumrundung folgt die nächste und die übernächste - ohne Unterbrechung. So entsteht eine einzige, schwindelerregende Bewegung. Das ist wie Karussellfahren im Kino. Das brummende Motorengeräusch stehst im Ohr schaut man auf merkwürdige Gebilde, die da umkreist werden. Schilder, Denkmäler, Werbung, Blumen, Brunnen, Steine … In der Wiederholung ergibt sich ein überraschendes Panorama aus Unorten, Nichtorten, Möglichkeitsräumen und kleinen Oasen.
(Duisburger Filmwoche 36, November 2012)
Kreis Wr.Neustadt
2011
Österreich
5 min