Binary Reflections. Part 01: One or two thoughts on incompleteness.

What language do you speak?

In ihrer Begegnung mit der antiken Skulptur Hermaphrodite endormi im Louvre, Paris, konfrontiert Marion Porten fragmentarische Bildkompositionen mit der ambivalenten Situation der Sichtbarkeit von Identitäten. Dicht gedrängt begutachtet eine Menschentraube das prominente Kunstwerk in der Ausstellung. Dabei offenbaren sich kategorisierende Zuschreibungen und Erklärungsmuster von Geschlechterkonstruktionen. Details portraitieren die Positionierung der Künstlerin zur Skulptur, die auf einem Sockel mit darauf liegender Marmormatratze gebettet ist. In Nahaufnahmen richtet sich die Handkamera auf den Fuß, die abgebrochene Hand, auf Risse und Klebestellen der Skulptur, die in Binary Reflections als personifiziertes Gegenüber angesprochen wird. In welcher Sprache sprechen wir? Wer spricht mit wem? Die Zwiesprache der Künstlerin mit der Skulptur wird kontrastiert von einem lyrischen Bericht über einen Zwilling im Spiegel: "i am a full, a half. a double. a twin. identical. i am – a mirror image." Im Schulterschluss mit dem Artefakt Hermaphrodite endormi benennt Marion Porten eine persönliche Geschichte – "i dressed in blue. we split again. i disconnected myself from her ... and me." Durchdringender Trommelsound unterbricht die Louvre-Szenen: Analog zu den Aufnahmen im Museum werden (wieder und wieder) dokumentarische Ausschnitte einer Performance montiert – Hände, Trommeln und rhythmisch laufende, pinke Chucks gehören zum Kollektiv The Fluffy Pink Drummers, das in einem Queer-Pride-March demonstriert. Der Unabschließbarkeit von Identitäten entsprechend balanciert die Kamera in instabilen Einstellungen zwischen und innerhalb der Bilder. (Kathrin Wojtowicz)



In der Begegnung mit der antiken Skulptur Hermaphrodite endormi* im Pariser Louvre spiegeln sich widerständige und biografische Bilder einer queeren Realität; - Bilder die sich einer noch immer vorherrschenden binären Geschlechterkonstruktion gegenüberstellen.

Ich hatte den Louvre mit Unbehagen betreten; diesen gewaltvollen Raum, voll geklauter Schätze, voller Festschreibungen und Versicherungen westlicher Identität durch Schönheitsideale und Stereotypisierungen. Vor einer Traube von Menschen blieb ich stehen. Die Leute drängten sich dicht um eine liegende Figur. Um die Skulptur herum schwirrten, - wie die Fliegen - laute und leise Gesprächsfetzen; ein permanenter Schwall von Worten über den "schlafenden Hermaphroditen", über Sexualität, Maskulinität, Femininität, Geschlechtsmerkmale, ... Verwirrung, Gelächter.
Ich sprach die Figur aus Stein an: "So, you are a thousand years old, then? I´m over forty. ... How are you today? ... What language do you speak? ... Who kidnapped you to Paris?"

Ich erzählte ihr spontan eine Geschichte aus meiner Kindheit; eine Erinnerung an ein Dilemma. Als eineiiger Spiegelzwilling** begriff ich mich als der "seitenverkehrte" Teil der identischen Schwester und definierte mich so als Junge … "Our bodies posed as opposites. So limited! Can you believe?"

"You and me are more than three."

Bald darauf betrat ich das Museum ein weiteres Mal, diesmal mit einer Kamera. Wieder stand ich neben der Figur mit den geschlossenen Augen. Zwischen den Massen von Menschen mit ihren Kameras und ihren Kommentaren. In meinem Kopf hörte ich auf einmal lautes Trommeln, draußen von der Straße. Ich erinnerte mich an eine lautstarke Performance der Fluffy Pink Block Drummers*** auf einem Queer-Pride-March im letzten Jahr. Die Bilder der trommelnden Hände durchkreuzten die Bilder einer abgebrochenen Marmorhand, - und der Sound der Trommeln drang schließlich in die Museumshalle ein und übertönte vollkommen das Sprechen derjenigen, die schauten.



*Anfang 2014 entdeckte ich im Louvre in Paris die berühmte Marmorskulptur Hermaphrodite endormi die vor circa 1000 Jahren in Rom ausgegraben wurde. Die Figur huldigt der Figur der griechischen Mythologie und somit den Schönheitsidealen und Geschlechtskonzepten von "feminin" und "maskulin" der griechischen Antike. Im 16. Jhdt. meißelte der italienische Bildhauer Bernini für sie eine Matratze die seither als Sockel dient. Dieses Ensemble ist heute eine Attraktion in der Skulpturen-Sammlung im Louvre.
**Circa 20 Prozent aller eineiigen Zwillinge sind Spiegelzwillinge, d.h. eine Person ist linkshändig, die andere rechtshändig; ihre äußeren Merkmale, wie Leberflecke, Zahnstellungen, Haarwirbel, etc. sind gespiegelt.
***Die Aufnahmen der Trommler_innen entstanden bei der LGBTIAQQ Pride Parade in Budapest 2013. Eine Gruppe internationaler Aktivist_innen formieren sich zu den "Fluffy Pink Block Drummers" um gegen Homophobie, Sexismus, Rassismus, Klassismus zu protestieren und Widerstand zu leisten

Orig. Titel
Binary Reflections. Part 01: One or two thoughts on incompleteness.
Jahr
2015
Länder
Österreich, Frankreich, Deutschland
Länge
11 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Marion Porten
Konzept & Realisation
Marion Porten
Tonmischung
Gailute Miksyte
Performer*in
The Fluffy Pink Block Drummers
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264)
Festivals (Auswahl)
2015
Graz - Diagonale, Festival des Österreichischen Films
2016
Marseille - RISC Rencontres Int. Sciences et Film
Dortmund / Köln - Internationales Frauenfilmfestival