12 Explosionen
Im Geräusch-Kapitel seiner Theorie des Films schreibt Siegfried Kracauer: "Angenommen, schrille Schreie oder der Knall einer Explosion seien mit Bildern ihrer Quelle beziehungsweise deren Umgebung synchronisiert, dann werden sie zwar ihre Wirkung auf den Zuschauer nicht verfehlen, aber es ist wenig wahrscheinlich, dass er ihretwegen versäumte, die Bilder in sich aufzunehmen."
Johann Lurf hat einen Film gedreht, der diese Annahme in sechs Minuten widerlegt.
12 Explosionen zeigt eine Reihe von Tableaus, aufgenommen im nächtlichen Wien. Die ausgewählten Orte wirken noch vor dem großen Knall wie Tatorte (auch und vor allem im Sinne des Fernsehkrimis): Zentralperspektivische Aufnahmen schwach erleuchteter Spazierwege, einsamer Parkplätze, einer Fußgängerbrücke aus Stahl. Diese Orte lauern geradezu darauf, dass an ihnen etwas passiert. Und wir wiederum wissen durch den Titel des Films: es wird.
Nach kurzer Ruhezeit fliegt an jedem dieser Orte etwas in die Luft, und zugleich mit dem Knall erfolgt ein Umschnitt auf die gleiche Szenerie aus neuer Perspektive.
Doch diese Schnitte entgehen der Aufmerksamkeit: viel zu abgelenkt ist man durch Licht und vor allem Lärm des Sprengstoffs im öffentlichen Raum.
Und vielleicht ist sogar der Titel eine List, denn wie viele Explosionen gibt es wirklich? Wie viele hört man, und wie viele sind im Bild?
12 Explosionen ist eine kleine, feine Wahrnehmungsstudie eines Filmemachers, der Humor hat und einfach ausprobiert, was ihn am Kino interessiert. Handwerklich präzise, noch nie zuvor gesehen: so soll Experimentalfilm sein.
(Maya McKechneay)
12 Mal lässt es Johann Lurf krachen, wenn die nächtliche Stille von bunten Explosionen zerfetzt wird. Das zu verraten tut der Spannung dieser wunderbaren kleinen Miniatur keinen Abbruch, im Gegenteil: Spätestens bei der zweiten Detonation wird die Spannung der Dramaturgie ganz auf den Zuschauer und dessen innere Erwartungshaltung übertragen: Man weiß, dass das nächste Feuerwerk kommen wird, aber vom genauen Zeitpunkt wird man dann doch von Mal zu Mal aufs Neue überrascht, auch weil Johann Lurf im entscheidenden Moment die Ansicht wechselt. 12 Explosionen, das sind 12 Mal freudige Bilder ohne Worte, ein filmischer Abriss ohne Anfang und Ende, ganz dem Verfließen der Zeit übergeben - auf dass er vielleicht irgendwann am Flohmarkt gefunden und als anonyme Found Footage einer explosiven Zeit entdeckt wird.
(Viennale Katalog, 2008)
Falter 06/09 - Der beste Drehort der Welt der Woche: Das Schottentor (Kritik)
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So richtig beeindruckt einen der Ort vielleicht erst in der Gesamtansicht im Kino. Wenn einer die Kamera nimmt und um vier Uhr morgens vom Dach der Universität herunter filmt. So wie Johann Lurf in seinem experimentellen Kurzfilm 12 Explosionen. Dann zeigt das Jonasreindl seine Eleganz. In Lurfs Film, der gerade auf dem Filmfestival Rotterdam seine internationale Premiere feierte, wird in der Passage ein Sprengsatz gezündet. Ein Knall, etwas Rauch und von oben sieht man eine flatternde Wolke von Tauben die aufsteigt aus dem dunklen Kreis. Und in der Mitte unbeeindruckt: Wiens urbanste Wiese.
Ein anderer Regisseur flirtet auf sanftere Weise mit seinem Drehort: Caspar Pfaundlers in Rotterdam uraufgeführter Spielfilm Schottentor spielt über und unter der Erde, in und nahe der Passage mit den kiesgrauen Wänden. Dabei zeigt das Schottentor sein Talent als Location: Die Rolltreppen befördern die Darsteller aus allen Richtungen in die Szene, wahlweise gibt es einen Aufzug aus Glas. Mit seinen Stehcafés und Pizzabäckereien, dem Blumenladen und der Trafik ist das Jonasreindl viele Schauplätze in einem; der ideale Begegnungsort für Pfaundlers Ensemble. Ein Fleck blauer Himmel, Neonlicht, und in den Abendszenen gleitet warm leuchtend der 33er durchs Bild.
Mögen andere ihre Krimis und Historienfilme weiter in kopfsteingepflasterten Gässchen drehen. Das Jonasreindl steht für Wien, wie es wirklich ist: Schmuddlig, abgerockt. Aber zumindest lebendig.
(Erschienen in Falter 6/09)
12 Explosionen
2008
Österreich
6 min