Bestandsaufnahme:eine Idee von Landschaft
(Artikel)
Der Videokünstler Rainer Gamsjäger verräumlicht die Zeit - Sein Medium versteht er nicht als herkömmliche Abfolge von Einzelbildern, sondern als Würfel aus Pixelinformation Vorraum, Wohnbereich, Büro, Werkstatt, noch einmal Werkstatt, Küche und wieder Vorraum - Rainer Gamsjägers großzügiges Wohnatelier in Linz ist kreisförmig angelegt und kann von zwei Seiten betreten werden. Von Raum zu Raum gelangt man in unterschiedliche Lager: hier ein Tisch mit DVD-Rohlingen, dort eine Werkbank mit Lötkolben, hier ein Regal mit Computer-Zubehör, dort eine ganze Wand voll mit Verstärkern, Boxen und Keyboards. "Ich hatte einmal eine große Sammlung analoger Synthesizer," stellt der Video- und Soundkünstler fest und sagt im gleichen Atemzug: "Leider bin ich ein Sammler. Mittlerweile habe ich mich aber von den meisten Geräten wieder getrennt." Während seines Studiums in der Klasse für Experimentelle Gestaltung an der Linzer Kunstuniversität hat er gemeinsam mit Kollegen so genannte DIY-Boxes (1998-2000) - analoge Soundmaschinen - gebaut. Einer dieser modularen Synthesizer steht in einem roten Blechkoffer direkt neben seinem Computer - ein Stück Geschichte: "Diese Kisten haben mich erst zu meinen aktuellen Arbeiten geführt", sagt der Künstler, der sich bei der Programmierung seiner langsamen, beinahe hypnotischen und vor allem wahrnehmungstechnisch nicht einordenbaren Landschaftsvideos der Software Puredata bedient: "Mit meinen Softwarevehikeln schaffe ich mir eigene Werkzeuge zur Umsetzung bestimmter Ideen." Er lässt dabei so unterschiedliche Konzepte wie Natur und Technik aber auch an Linearität ausgerichtete Wahrnehmungsmuster und zeitlich wie räumlich vollkommen ausgehebelte Videobilder direkt aufeinanderprallen. Konzeptuelle Landschaftskuben In der dreiteiligen Serie State of Flux (2009), die während des Kurzfilmprogramms der Viennale´09 Premiere hatte, testet Rainer Gamsjäger wie sich das chaotische Partikelsystem Wasser unter den Bedingungen einer dreidimensionalen Konzeption des Informationsträgers Video verhält. Das Rohmaterial für Wave#1, Wave#2 und Wave#3, so die nüchtern-pragmatischen Titel seiner Naturstudien, drehte der Künstler bei Staustufen entlang der Donau. Die einzelnen Videoframes dieser Naturaufnahmen, die normalerweise entlang der Zeitachse geordnet sind - also Bild für Bild nebeneinander -, reiht Gamsjäger hintereinander, bis die Gesamtheit aller Videoframes, die das Rohmaterial in seiner zeitlichen Ausdehnung ursprünglich umfasst, einen virtuellen Kubus - also einen Raum - bildet. Dieser kann schließlich mittels Software von allen Seiten her durchschritten werden, was zur Folge hat, dass die Zeit in diesem digital erzeugten Parallelraum multilinear wird. "Indem ich das Video nicht als Einzelbildabfolge, sondern als Videowürfel interpretiere", so der Künstler, "kann ich - anhand eines einzelnen Pixelschlitzes - durch diesen Raum navigieren und die Zeit auf unterschiedliche Arten scannen." Das Ausgangsmaterial, das Rainer Gamsjäger mit seiner eigenen Version der so genannten Slit-Scan-Videotechnik bearbeitet, spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie die Technik selbst: "Das Wasser vestehe ich als Chiffre für Natur. Wenn du bei einer Staustufe stehst, passiert etwas mit dem Wasser - es wird ihm Energie entzogen." In der Videoserie verwandeln sich die Wirbel und das Getöse, wenn die Wellen aus unterschiedlichen Fließrichtungen aufeinandertreffen und das Wasser aufschäumt, in eine seltsam anmutende Bewegung. Das Wasser fließt zwar weiterhin, aber es fließt irgendwie anders - es entsteht der Eindruck, als dehne es sich in alle Richtungen hin aus, um sich im selben Moment wieder zusammenzuziehen - mit durchaus kontemplativer Wirkung. Prozessuale Videopraxis Auf die Frage, inwieweit ein Verständnis seiner Videotechnik für BetrachterInnen relevant sein könnte, sagt Gamsjäger: "Das Computerprogramm gehört eigentlich zur Videoarbeit. Es ist ein Repräsentant der Idee - wenn man die Programmiersprache, den Patch, lesen kann, stellt sich die Struktur der Arbeit mitunter wesentlich klarer dar, als das dann im fertigen Video der Fall ist." Beim Atelierbesuch zeigt er am Computer wie die verwendete Software diagrammatisch organisiert und aus einzelnen miteinader durch Datenströme verbundene Elemente, das sind die so genannten Patches, konstruiert ist. "Gewisse ästhetische Entscheidungen gebe ich vollkommen aus der Hand, die Software erledigt das dann für mich. Das Video oder die Installation im Ausstellungsraum - letztlich das Endprodukt - ist ein Output dieses Systems, also nicht mehr als eine Bestandsaufnahme." Das Bildmaterial, das Gamsjäger als Ausgangspunkt für seine strukturelle Auseinandersetzung mit dem Medium Video verwendet, ist meist ruhig und beschaulich. Mit seiner Videotechnik verhandelt er etwa in der Serie Trifter (2007) den archaischen Topos Wald. Die bewegten Bilder umgestürzter Bäume, Ast- und Wurzelwerk sind bei diesem künstlerischen Blick in die Landschaft traditionellen Wahrnehmungsgewohnheiten diametral entgegengesetzt. Die Einzelbestandteile der Bildkomposition triften - wie der Titel bereits andeutet - auseinander und vollführen im selben Moment eine Drehbewegung, in der die unnatürlich ungleichen Bildschärfen von Vorder- und Hintergrund dominieren. Bei den Videos Fixkraft (2008) und Split (2008) wird dieses Verfahren durch die Verwendung urbaner Landschaften als Rohmaterial noch einmal offensichtlicher: Sichtbetonbauten und Lagerhallen mit rein industriellem Zweck oder Sand- und Schotterhaufen entlang einer Bahnstrecke durch die Peripherie dienen dem Künstler dazu, Landschaft als Prozess zu verstehen und als gänzlich künstlichen Raum immer wieder neu zu generieren. Re-präsentationsformen "Auch wenn meine Arbeiten eher bei Filmfestivals und auf Kinoleinwänden gezeigt werden," so Gamsjäger, "fühle ich mich im Ausstellungsraum besser aufgehoben." Die bisher größte Projektion mit 16 mal 4 Metern war im vergangenen Herbst bei der Präsentationsreihe One-Night-Stand in der Landesgalerie Linz zu sehen. Im Moment ist Rainer Gamsjäger Artist-in-Residence beim OK - Centrum für Gegenwartskunst und arbeitet an einer neuen Videoserie, die im kommenden Frühjahr beim Crossing Europe Filmfestival gezeigt wird und im Anschluss auf Tour zu fünf weiteren europäischen Filmfestivals und Biennalen wie etwa zum European Media Art Festival in Osnabrück geht. "Die Reaktionen auf meine Videos sind zum Teil erstaunlich. Manchmal passiert es, dass die Leute ungeduldig werden. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich eben nicht narrativ im herkömmlichen Sinn, sondern prozessorientiert arbeite. Das Ergebnis sind dann meist sehr langsame Bilder ohne Schnitt oder Szenenwechsel - das verunsichert die BetracherInnen. Aber ich muss sagen, dass mir das gefällt." Er lacht. "Wenn ich ein oder zwei Monate nicht programmiere, bin ich dermaßen aus der Übung, dass ich meine eigenen Diagramme nicht mehr lesen kann", sagt der Künstler abschließend: "Ich kann sozusagen eine Idee, die ich einmal gesponnen habe, nicht mehr nachvollziehen." Selbst wenn Gamsjäger sich damit auf die technologischen Bedingungen seiner Videoarbeiten bezieht, in den Vordergrund drängt sich immer wieder das Konzept eines performativen und prozessualen Raums, in dem sich die Zentralperspektive und die Linearität des Mediums Video an der Grenze zwischen Digitalität und Realität zusehends auflösen. Das Tüfteln an Möglichkeiten, um den virtuellen Pixelkubus auf immer wieder neue Wege zu durchschreiten, das Entwickeln und fortwährende Überdenken von Strukturmustern und ihr Verwerfen - all das manifestiert sich schließlich in einem ästhetischen Experiment, das die Idee von Landschaft transzendiert und zu einer möglichen Idee unter vielen werden lässt.
(fair, derStandard.at, 01.02.2010)