Jobcenter
Flipcharts, kahle Meetingräume, Schulungsroutinen. Das ist die Welt, in die Jobcenter den Zuseher führt. Trainees, denen die Unsicherheit ins Gesicht geschrieben steht, treffen auf Übungsleiter, die ungeachtet eigener Tonlagen stets freundliche Nasenlöcher machen. Ziel eines Jobcenters ist es, seine Klienten für den Arbeitsmarkt zu rüs ten. Dazu gilt es herauszufinden, wie die Menschen ihre Möglichkeiten und Ziele auf diesem Markt einschätzen. Dann wird ihre Performance optimiert.
Fünf Menschen hat die Filmemacherin Angela Summereder in ein Jobcenter begleitet. Darunter den unbedarft wirkenden Landwirtsohn Martin, einen attraktiven Burschen, der lieber grinst als spricht; oder auch die langjährige Kantinenpächterin Sieglinde, die schon habituell signalisiert, dass sie für Unterstützung jeder Art dankbar ist. Mit emotionslosen Bildern, in denen sich der technokratische Charakter des Jobcenters selbst zu wiederholen scheint, folgt Summereder den mechanischen Ritualen dieser Kurse: Die Bedürfnispyramide des Menschen wird da erarbeitet, ein Vorstellungsgespräch simuliert. Die Bilder bleiben kühl beobachtend, selbst dann, wenn die Kursteilnehmer erschreckend devot auftreten, ihre Ansprüche schon vorauseilend nach unten schrauben. Nur manchmal schleichen sich leise Kommentierungen ein, die Skepsis am Geschehen nähren. Etwa dann, wenn die persönlichen Lebensläufe besprochen werden, im Bild statt der Menschen aber nur anonyme Bildschirme zu sehen sind. Bild und Ton formen dann ihre eigene kleine Erzählung.
Was das Jobcenter nicht leistet, ergänzt Summereder: Immer wieder unterbricht sie dessen Abläufe, um in Zwiegesprächen hinter die Zurichtungen zur Erwerbsarbeit zu blicken. Dann verändert sich nicht nur der Tonfall der Porträtierten - sie werden plötzlich greifbar, formulieren glaubhaft -, sondern auch die visuelle Sprache des Films. Zu den Großaufnahmen der Gesichter gesellen sich plötzlich emotionale, metaphorische Bilder wie ein einsamer Weg oder ein verfallenes Haus. Das Jobcenter und sein Anspruch, für «da draußen» zu rüsten, wirkt dem Leben dann fern.
(Gunnar Landsgesell)
Was heißt es eigentlich, keine Arbeit zu haben?
Der Film JOBCENTER erzählt von Menschen, die ihren Job verloren haben, wie Helmut oder Sieglinde, die als 50+ Arbeitskräfte am Arbeitsmarkt als unattraktiv und unvermittelbar gelten und von solchen, die auf der anderen Seite, am Anfang ihres Arbeitslebens versuchen, einen Einstieg zu finden, wie Mathias, martin oder Atafa.
Im JOBCENTER, einem AMS-Kurs, werden die einen aufgefangen, die anderen vorbereitet, wie bei einem Mühlrad, einem Kreisverkehr oder einer Drehtür.
Welche Interessen werden hier bedient?
Geht es darum, die Arbeitssuchenden zu unterstützen, ihnen einen Schutz- und Reflexionsraum zu bieten? Oder geht es um Zurichtung, Kontrolle und Machtausübung?
(Produktionsnotiz)
Beste Montage Dokumentarfilm / Jurybegründung (Preis (Auszeichnung))
(AT 2009, 80 min.)
Die Begründung der Jury:
Der Film Jobcenter beginnt mit einer offensiven Exposition, in welcher die Hauptprotagonistinnen vorgestellt werden. Was zunächst wie ein Teil des Trainingsprogramms im Jobcenter wirkt, entpuppt sich als sensibler, persönlicher Einstieg in die Lebensperspektiven der einzelnen Protagonistinnen. Der Überraschungseffekt dieses Beginns schafft eine Basis, auf der wir gemeinsam mit den Protagonistinnen durch die absurd anmutenden Prozeduren des Jobcenters geleitet werden.
Dem Cutter Michael Palm gelingt es unterschiedliche Erzählebenen spannungsvoll miteinander zu verbinden und somit die Diskrepanz zwischen den persönlichen Situationen der Arbeitssuchenden mit dem schematisierten Angebot des Jobcenters über die ganze Dauer des Films aufrecht zu erhalten und sogar zu zuspitzen.
"Hab` den Film nicht von außen gemacht", von Jenny Legenstein, Augustin, 22.9.2010 (Interview)
Interview mit Angela Summereder, geführt von Jenny Legenstein, Augustin, 22.9.2010
Jobcenter
2009
Österreich
80 min