The Future will not be Capitalist
Ende der 1960er Jahre, als es die Zukunft noch gegeben hat, entwarf Oscar Niemeyer in Paris die Zentrale der Kommunistischen Partei Frankreichs. Sasha Pirkers Film handelt von den Beziehungen dieses Gebäudes und seiner futuristischen Qualitäten zur Gegenwart politischer Projekte, ökonomischer Realitäten und ästhetischer Einstellungen.
The Future will not be Capitalist wechselt zwischen nüchternen Einblicken in das alltägliche Arbeitsleben der Beschäftigten in der Parteizentrale und Aufnahmen, die der modernistischen Formen- und Materialsprache von Niemeyers Bau Referenz erweisen. Im Off-Text führen Kommentare und Erinnerungen des Verwalters der Zentrale durch das Haus und zeichnen ein Bild von der aktuellen Politik einer geschrumpften Partei, die durch ihr großartiges Hauptquartier beständig an das Idealbild ihrer selbst erinnert wird.
(Christian Kravagna)
THE FUTURE WILL NOT BE CAPITALIST (Text - Langversion)
Ende der 1960er Jahre, als es die Zukunft noch gegeben hat, entwarf Oscar Niemeyer in Paris die Zentrale der Kommunistischen Partei Frankreichs. Sasha Pirkers Film handelt von den Beziehungen dieses Gebäudes und seiner futuristischen Qualitäten zur Gegenwart politischer Projekte, ökonomischer Realitäten und ästhetischer Einstellungen. Der Einsatz der filmischen Mittel ist dabei so gewählt, dass sich verschiedene Möglichkeiten auftun, ein außergewöhnliches Gebäude wie dieses als physischen Raum, als Institution oder als historisches Dokument zu betrachten und somit nach seiner ästhetischen Wirkung, seiner praktischen Nutzung oder seiner politisch-symbolischen Bedeutung zu fragen.
Wenn man sagt, Gebäude erzählten Geschichten, so mag dies zutreffen, doch The Future will not be Capitalist interessiert sich mehr für die Blickweisen und interpretatorischen Rahmen, unter denen Architektur auf jeweils andere Art zum Sprechen gebracht wird. So wechselt Sasha Pirkers Film zwischen nüchternen Einblicken in das alltägliche Arbeitsleben der Beschäftigten in der Parteizentrale und Aufnahmen, die der organisch-abstrakten Formen- und konkreten Materialsprache von Niemeyers Bau Referenz erweisen. Folgen wir den mit einer Handkamera festgehaltenen Bewegungen durch das Gebäude, so nehmen wir dieselben Räume einmal als funktionale Umgebung von Arbeitsabläufen wahr, dann wieder – besonders wenn wir sie menschenleer sehen – als eindrucksvolle Beispiele modernistischen Gestaltungswillens. The Future... akzentuiert diese Varianz der Perspektiven unter anderem auf der Tonebene, wenn etwa das Bild eines Raumes einmal von dessen Umgebungsgeräuschen begleitet und so in lebendiger Gegenwart verortet wird, dann wieder unter Ausblendung derselben für Momente zur architekturfotografischen Faszination an Designelementen gerinnt. Pirkers Film kann und will die Faszination an der Form nicht verleugnen, bringt ihrer darstellerischen Zelebrierung allerdings einige Skepsis entgegen.
Dass derartige Reflexionen auf Bedeutung produzierende Darstellungsmittel keine bloße Übung in künstlerischer Selbstverortung sind, sondern von einer Wirklichkeit divergenter Perspektiven auf Niemeyers Parteigebäude ausgehen, wird deutlich, wenn wir den Off-Text hören, dessen französisch akzentuiertes Englisch in gleich bleibend "neutralem" Tonfall ein wichtiges Stilmittel des Films bildet. Aus der Sicht des Verwalters der Parteizentrale, dessen Kommentare und Erinnerungen gleichsam durch das Haus führen, ist hier etwa davon die Rede, dass die Verwaltung systematisch allen Anfragen eine Absage erteilt, die sich auf die Nutzung des Gebäudes als Kulisse für Werbefilme beziehen. "We do not want to market the building," lautet die klare Position der KP, deren bessere Zeiten Jahrzehnte zurück liegen. Sie drückt ein Beharren auf antikapitalistischen Einstellungen aus, das durch finanzielle Schwierigkeiten der Partei und die daraus resultierende Notwendigkeit, zwei Stockwerke der Zentrale zu vermieten sowie die Cafeteria zu schließen, konterkariert wird.
"The Future will not be capitalist," ein Zitat des Verwalters der Parteizentrale, die seit kurzem unter Denkmalschutz steht, ist ein schöner Titel, weil er die Hoffnung leben lässt. Die guten Geschichten von der Verbindung linker Politik und zukunftsweisender Architektur, von Niemeyer, der für seine kommunistischen Genossen in Frankreich auf ein Honorar verzichtete und dafür seinerseits der Diktatur in Brasilien entfliehen konnte, stammen aber aus vergangenen Zeiten, als man auch noch die sphärische Architektur des unterirdischen Kuppelsaales mit dem Bauch einer Schwangeren vergleichen und als (politisch interpretiertes) Fruchtbarkeitssymbol verstehen konnte.
The Future... geht es aber weniger um den nahe liegenden nostalgischen Rückbezug auf eine bereits historisierte Zukunft, sondern eben um die Gegenwart der Bestrebungen, mit dem außergewöhnlichen architektonischen Erbe einen pragmatischen Umgang zu pflegen und dennoch politische Ziele zu verfolgen, die über die reine Selbsterhaltung einer geschrumpften Partei hinaus gehen, die durch ihr großartiges Hauptquartier beständig an das Idealbild ihrer selbst erinnert wird.
(Christian Kravagna)
The Future will not be Capitalist
2010
Österreich
19 min 16 sek