Ich auch, auch, ich auch

Vorbei an der Trafik, am Frisör, an der Kleiderreinigung. Eine Tür öffnet sich, und es geht hinein in ein Krankenzimmer. Eine sehr alte Frau liegt dort in ihrem Bett. Ihr Körper ist matt und hager. Aber ihr fester Blick hält jenem der Kamera stand.

Dem dreiminütigen Film, den Momentaufnahmen einer Begegnung, liegt eine konkrete Erfahrung zugrunde. In einer Begleitnotiz schreibt die Filmemacherin: „Seit Jahren, wöchentlich, muss ich meine Mutter besuchen und werde regelmäßig von Sinnfragen, Mitleid und der Antizipation meiner eigenen Vergänglichkeit überwältigt.“ Diese Erfahrung wird im Film verdichtet. Aus dem anonymen Stadtraum gelangt man in das Zimmer, und während draußen noch Passanten und Fahrzeuge das Bild flüchtig beleben, beschränkt sich die Bewegung drinnen auf überschaubaren Raum und kleinste Gesten. Die Zeit scheint beinah still zu stehen, hat sich in Richtung Vergangenheit verkehrt, welche sichtbar auf Familienfotos verewigt ist.

Das konstante Flackern der zart vergilbten 16mm-Aufnahmen arbeitet der Wahrnehmung des Films als Memento mori zu. Aber anders als bei den bisherigen, stummen Filmen der Künstlerin spielt erstmals auch der Ton eine tragende Rolle. Bereits der Schwarzfilm vor der ersten, zitternden Einstellung ist von einer heiseren weiblichen Off-Stimme affiziert. Mit den Titel gebenden Worten „Ich auch, auch, ich auch“ beginnt eine Litanei. Manches erschließt sich nicht, bleibt Lautmalerei. Anderes, das man zu verstehen glaubt, löst sofort eigene Assoziationsketten aus: Weine, leideleideleide. Dämonen. Weg, weg, Enge, eingenommen, mitkommen. Die Erregung der Sprecherin steigert sich, ihre Suada mündet in einen alles durchdringenden Schrei – Erkenntnis: ich auch, auch, wir alle.

(Isabella Reicher)


Zusammenhanglos anmutende Worte und Laute kulminieren in einem durchdringenden Schrei. Es sind die verwirrten Gedanken einer alten Frau - möglicherweise der Mutter der Filmemacherin. Über das Schwarzbild führt die Kamera an deren Krankenbett, vorbei an öffentlichen, anonymen Plätzen des Alltags. Im Gegensatz zum hageren Körper wirkt der Blick der Alten stark und präsent, hält der Kamera stand. Das aufbäumende Flackern des vergilbten 16mm-Films und die Familienfotos an der Wand verdichten die Erfahrung von Vergängflichkeit, intim und sehr persönlich.

(Diagonale Katalog, 2013)


Das Alter, das Dahinsiechen und das damit verbindene Ausgeliefert sein an Gesellschaft, Pflegepersonal und Einsamkeit sind die Themen das Films.
Seit Jahren, wöchentlich, muss ich meine Mutter besuchen und werde regelmäßig von Sinnfragen, Mitleid und der Antizipation meiner eigenen Vergänglichkeit überwältigt. Drei verstörende Stilmittel, verunsicherndes Zittern des Bildes, uringelbe Einfärbung des Filmmaterials und als Ton, die verwirrte von dominanten Erinnerungen zeugende Sprache einer Zimmergenossin, die unter Sprechdurchfall leidet, sollen den Betrachter in meine Stimmung versetzen.

(Friedl vom Gröller)

Orig. Titel
Ich auch, auch, ich auch
Jahr
2012
Land
Österreich
Länge
2 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Downloads
Credits
Regie
Friedl vom Gröller
Konzept & Realisation
Friedl vom Gröller
Schnitt
Albert Sackl
Mit Unterstützung von
Innovative Film Austria
Verfügbare Formate
16 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w coloriert
Festivals (Auswahl)
2012
Toronto - Int. Film Festival
Mar del Plata - Int. Film Festival
2013
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Windsor - Media City
Osnabrück - EMAF - European Media Art Festival
2014
Paris - Rencontres International Paris/Berlin/Madrid