MeTube: August sings Carmen ´Habanera´
Youtube-Anachronismus als Ouvertüre eines gewitzten Opernremix-Spektakels: Ein Mann umgeben von biederstem 70er-Jahre-Interieur. Vor beigefarbener Mustertapete thront das Porträt von Maria Callas, aus dem Kassettenrekorder erklingt die „Habanera“ aus Bizets Oper „Carmen“. Während Schlieren durch das statische Bild der vermeintlichen Webcam ziehen, gibt der Protagonist und tatsächliche Interpret, Tenor August Schram, verhalten den Sänger, seine Mutter reicht dazu Milch und Jausenbrot. Adoleszente (Netz-)Selbstdarsteller_innen sehen anders aus, deren Jugendzimmer sowieso.
Erst ein greiser, geknebelter Pianist im Rollstuhl bringt visuelle Unruhe in die scheinbar penibel sortierte Bürgerlichkeit. Zunehmend unzähmbar – wie die Liebe bei Bizet – erwehren sich Protagonist_innen und Setting fortan den Grenzen der Wirklichkeit. Wer dabei die Fäden zieht – Mutter, Sohn, Medium – bleibt konsequent uneindeutig. Wie variierende Layer von Schrams Persönlichkeit legen sich Kamerafilter über das nunmehr hochaufgelöste und bewegte Filmbild: Schram im Kostüm der Carmen, umgarnt von Männern in Latexoutfits. Schram als blondierter Schönling inmitten junger Frauen in Catsuits. Wenigstens im Internet erweisen sich Identitäten und Körperbilder als divers und genuin fluid. So wird MeTube zur Fetischmaschine und das Home- zum Hochglanz-Musikvideo.
Zwischen Disco und Sadomaso-Darkroom inszeniert Regisseur Daniel Moshel einen minutiös choreografierten Trip ins Unterbewusste: Während die „Habanera“ in Schrams grandiosem Techno-Remix dröhnt, überlappen und kollidieren Geschlechter wie Realitäten, brechen sich unterdrückte Emotionen rauschhaft Bahn. MeTube ist dahingehend mehr als Musikvideo: ist Hommage, Kritik und pointierte Liebeserklärung an das Web und dessen User_innen im Taumel der (Selbst-)Darstellung. Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Momenthaft und doch für die Ewigkeit.
(Sebastian Höglinger)
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Das Projekt MeTube bezeichnet das Cross-Over aus Operngesang, elektronischen Klängen und raffiniert skurriler Selbstinszenierung. Wissend, dass Tenor August Schram sich gerne zwischen Gesang, Kunst und neue Medien bewegt, fusionieren der Filmemacher und der Opernsänger. Das Ergebnis ist die Verbindung zeitgenössischer Interpretation von klassischem Operngesang, neuen Medien und künstlerisch, raffinierter Selbstinszenierung mit einer Portion Selbstironie gelungen. Kein geringeres Stück als George Bizets Habanera aus „Carmen“ wurde für MeTube neu interpretiert und um elektronische Klänge erweitert.
(Prod.-Notiz)
MeTube lässt sich zunächst als Reinterpretation einer der bekanntesten Arien der Opernwelt des 19. Jahrhunderts betrachten – George Bizets Habanera aus Carmen. Schon nach wenigen Sekunden fällt jedoch auf, dass es sich hier um weit mehr als eine zeitgenössische Bearbeitung dieses klassischen „Evergreens“ handelt. Denn hinter MeTube steckt auch – und das scheint wesentlich – der Zusammenschluss eines Regisseurs mit einem experimentierfreudigen Sänger. August Schram, klassisch ausgebildeter Opern- und Oratorientenor, stellte schon in vergangenen Projekten seine Motivation für genre- und medienübergreifende Arbeit unter Beweis. Zu einer Begegnung mit Daniel Moshel, dem Regisseur von MeTupe, kam es bereits durch seine Tätigkeit als Koproduzent in dessen Film „Login 2 Life“. MeTube bezeichnen die beiden als eine Hommage an die Welt der Youtube-Selbstdarsteller und Videoblogger.
Fast unmöglich erscheint es, dieses Musikvideo der völlig anderen Art zu skizzieren, denn neben einem apathisch die bekannte Melodie singenden Schram erscheinen im Hintergrund nach und nach die dubiosesten Figuren, deren Auftreten neben maximal hypothetisch formulierten Annahmen kaum logische Schlüsse zulässt und die meisten Betrachter wohl mit Erstaunen erfüllt. Schram verwandelt sich vom braven Bürger in die selbstgefällige Diva, um schließlich als blasser Tenor seine eigene Stimme im Filter elektronisch generierter Klänge zu verlieren. Im Rausch der Clubszene bleibt die Musik plötzlich hängen und die vermeintlich Realität der Anfangsszene kehrt zurück. Schram beendet die Arie mit schüchternem, verunsichertem Lächeln, steht auf und geht. Er hinterlässt ein perfekt inszeniertes Musikvideos mit Kurzfilmcharakter. Ohne Zweifel ein geniales Stück Absurdität.
(musicaustria.at)
Wer hätte das gedacht? Operngesang trifft auf Techno-Klänge und ein Muttersöhnchen auf die SM-Szene: Mit der wilden Neuinterpretation von Carmens Habanera "MeTube feat. August Schram" sprengen der Schweizer Operntenor und Ideengeber Daniel Moshel die Grenzen des Gewohnten. Eine Interpretation von klassischem Operngesang mit künstlerischer Selbstinszenierung und einer Portion Selbstironie, die Einblick in eine kleine sonderbare Privatsphäre gibt. Eine Hommage an ambitionierte YouTube-Nutzer, begabte und weniger begabte Selbstdarsteller im Netz.
(Christine Scharfetter, In: KURIER, 4.2.2013)
moshel.com
metube.at
MeTube: August sings Carmen ´Habanera´
2013
Österreich
4 min