Warum es sich zu leben lohnt
Der Film öffnet quasi mit einer falschen Spur, in der Form eines Plakats oder Schilds der Kosmetikmarke Shiseido, wie wir es aus den Schaufenstern von Parfümerien oder Kaufhäusern kennen, das am oberen Ende mit dem Filmtitel, am unteren Ende mit dem Namen der Filmemacherin übermalt ist. Das Plakat zeigt das schöne, selbstzufriedene Gesicht einer Frau, im Zentrum ihre großen asiatischen Augen, ein tiefer, vertrauensvoller Blick. Eine Hand ragt in das Bild, wahrscheinlich die eines Mannes, und von ihr weg pendelt ein länglicher, durchsichtiger Streifen über das Plakat.
Dem gegenüber stellt Friedl vom Gröller nach einem Schnitt die Inversion dieses Settings: im Zentrum ist wieder das Gesicht einer Frau, diesmal ist sie es selbst. Aber ihr Kopf liegt schräg zurückgebeugt, ihre Augen sind – zum Teil krampfhaft – geschlossen. Vom Gröller sitzt in einem Zahnarztstuhl und unterzieht sich einer Behandlung, die verschiedene Stufen durchläuft und im Rhythmus einer Eskalation montiert ist: Sie wird untersucht, sie erhält eine Betäubung, Zähne werden gezogen. Anstatt ihrer Augen ist ihr Mund zunächst das offene Organ im Zentrum des Bildes, das von der Zahnarztlampe unwirklich erleuchtet wird. Rund um dieses Zentrum arrangieren sich Arme und Hände – des Zahnarztes und seiner Assistentin –, die Instrumente und Schläuche bedienen.
Im Bildvordergrund, an seinem unteren Ende sehen wir unterdessen die Hand Friedl vom Gröllers selbst die Kamera bedienen, mit dem Auslöser an einer Schnur, mit dem Ring am Ringfinger – und später wird sie sogar mit der linken Hand in das Bild winken, während an ihr gearbeitet wird. Die Montage verlangsamt das Bild und wiederholt Handlungen, intensiviert sie dadurch, wie in einem Traum oder in einem Ritual. Warum es sich zu leben lohnt ist eine Frage und eine Antwort zugleich: Warum lohnt es sich wirklich? Warum leiden wir Schmerz? Vielleicht um zu schauen und zu sehen, auch mit geschlossenen Augen.
(Sylvia Szely)
Der Titel ist eine rhetorische, natürlich sarkastische Bemerkung angesichts der Schmerzen und narzistischen Kränkung während des Ziehens so vieler Zähne. Tatsächlich taucht dieser Satz als Frage seit meiner Pubertät immer wieder auf.
(Friedl vom Gröller)