Poetry for Sale
Die erste Einstellung zeigt eine nachgerade klassische Schreibszene: Der Dichter sitzt im offenen Fenster und schreibt; im Hintergrund gotische Kirchenfenster. Neben ihm steht seine Muse, sie sieht aus wie eine Aphrodite im langen weißen Kleid und mit weißen Blumen im knielangen Haar - ironischer Hinweis auf die althergebrachte Rolle der Frauen im Leben der Künstler. Ihr lasziver Tanz scheint den Dichter jedoch mehr abzulenken als zu inspirieren. In einer Reihe von Close-ups beleuchtet vom Gröller den Dichter und die Muse. Zuletzt verschwindet die Muse und damit ist auch die Schreibszene zu Ende.
Es folgt ein zweiter Abschnitt, der den Dichter in der Pariser Métro zeigt, zunächst auf dem Bahnsteig, dann in einem U-Bahn-Waggon. Hier versucht er, seine Texte zu verkaufen. Während der erste Abschnitt, die Schreibszene, stumm gefilmt ist, ist der zweite vom lautstarken, marktschreierischen Anpreisen der Gedichte durch den Dichter geprägt. Zunächst auf Französisch, dann auf Englisch trägt er seine Texte als Waren auf den Markt. Doch er trifft auf Desinteresse, augenscheinlich durch die leeren und zusätzlich durch das Filmen verärgerten Gesichter der Fahrgäste. Der Schluss zeigt den Dichter sitzend und rauchend. Als er von einem jungen Punk umarmt wird, lächelt er übers ganze Gesicht.
Vom Gröller kontrastiert in ihrem Kurzfilm auf eindrückliche Weise die Intimität des Schreibakts mit der Öffentlichkeit der Darbietung. Die Schwierigkeit des Unterfangens, Gedichte in der U-Bahn zu verkaufen, zeigt die Schwierigkeit des materiellen Überlebens von Dichtern. Der zweifache Gesetzesbruch, der ihm zu Grunde liegt – sowohl das Verkaufen als auch das Filmen ist in der Metro verboten – rückt das Schreiben von Poesie und das Filmen in die Nähe krimineller Akte und enthüllt den eigentlichen Status sowohl von Dichtern als auch von Filmschaffenden.
(Nicole Streitler)
Gedichte sind Kunstwerke, aber fast unmateriell. Daher sind sie als Kunstmarktverkaufsartikel ungeeignet. Die finanziell prekäre Lebenssituation, in der Dichter leben, spiegelt diese Tatsache wieder.
Meine halbfiktive, halb dokumentarische Darstellung eines jungen Dichters in Paris zeigt ironisch die "Anbetung des Genies" und "Die fleischliche Muse" und mündet in der Dynamik der Pariser Metro, als Sinnbild der Urbanität. Das Verbot in der Metro etwas zu verkaufen gesellt sich zu dem Verbot, in der Metro zu filmen.
(Friedl vom Gröller)