Spieler
Rustem ist Spieler, sein Job und seine Passion Poker. Zwei Stunden genügen dem 25-Jährigen, um online bis zu 300 Turniere zu absolvieren. In jeder Sekunde und mit jedem Click fällt dann eine Entscheidung: 60 mal Risiko pro Minute. Mit Glück habe das Spiel wenig zu tun, heißt es. Was zählt seien Selbstvertrauen, Zahlentalent und eben Disziplin.
Im verdunkelten Wohnraum folgt die Kamera Rustems eigenwillig isoliertem Handwerk. Nur der Schein des Laptops trotzt dem Schwarz – gleich einem Sinnbild für die vermeintliche Anonymität des Internets. Zwischen momenthaftem Glamour und Klischee, schnell erspielten Geldsummen, Mikrowellenburger und Feierabend-Longdrink artikuliert sich aber auch Rustems Sehnsucht nach Öffentlichkeit, dem Ruhm eines Pius Heinz, nach direkter Konfrontation. Mit dem Protagonisten dringt der Kamerablick also zunehmend in die reale Pokerwelt vor – in verrauchte Hinterzimmer und artifiziell dekorierte (Provinz-)Casinos. Dort streift er über gigantische Tischensembles, beobachtet das Ballett der Karten und die Bewegungsabläufe beim Austausch von Jetons und Vermögen.
Katharina Copony artikuliert eine filmische Übersetzung für die eigenwillige Routine und forcierte Emotionslosigkeit in den virtuellen und den realen Pokerhallen – für ein Spiel, das sich in den Alltag fortschreibt und nicht mit dem jeweiligen Turnier endet. Dabei ist Spieler weder sensationsgieriges Gewinnerporträt noch kanonisierte Glücksspielkritik. Über die poetische Offerzählung vermittelt sich die Geschichte von einem Leben in Gemeinschaft, in der jede/r doch nur für sich agiert. Dazu stimmig zoomt die Kamera gegen Ende des Films noch einmal in die Computerwelten von „Mafia 2“. Hier wie da regiert das Gesetz des Stärkeren, virtuelle Realität und Wirklichkeit verschwimmen. Allein gegen alle, immer im Spiel.
(Sebastian Höglinger)
Rustem ist jung, sportlich und gut aussehend. Im Spiel hatte er schon immer Glück, seit acht Jahren verdient er sein Geld beim Online-Poker. - Filmautorin Katharina Copony gibt Einblick in ein Spielerleben, das im realen wie virtuellen Raum Gewinnoptimierung als Lebensmaxime setzt. Als "Puma23 xx" verdiente der in Berlin aufgewachsene Russe an virtuellen Spieltischen bereits Hunderttausend Dollar; über Verluste spricht man in seinen Kreisen nicht. Der 25-Jährige reinvestiert einen Großteil der Einkünfte, und ein kleiner Teil gehört den Dingen des täglichen Lebens in Berlin-Neukölln, auch wenn dafür immer weniger Zeit bleibt.
Im globalisierten Zeitalter wird Tag und Nacht gezockt, meist online. Offline ist zeitintensiver, bringt aber auch höhere Gewinne und Reputation ein. Ein Etikett wie "Spielsucht" ist für junge Menschen wie Rustem nicht mehr zeitgemäß. Und die Größen der Zunft werden immer jünger. Von seinem BWL-Studium hat Rustem sich mittlerweile "beurlauben" lassen; eine Zukunft als Zocker erscheint ihm vielversprechender, zumal Turbokapitalismus und Profipoker so einige Gemeinsamkeiten aufweisen.
Die österreichische Filmemacherin Katharina Copony begleitet Rustem in seinem rastlosen Leben als Poker-Profi und gibt Einblick in die eigenwilligen Routinen an virtuellen wie realen Casinotischen der neuen Spielerwelt.
(3sat.de)
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Der Spielbetrieb hinter dem Pokerface. (Artikel)
Eigentlich handelt es sich bei Katharina Coponys Dokumentarfilm um ein paradoxes Projekt: Denn Spieler handelt von Menschen, die sich völlig dem Pokern verschrieben haben. Diese legen sich fürs Kartenspiel bekanntlich eine stoische Miene zurecht, manche behelfen sich auch mit einer (verspiegelten) Sonnenbrille: keine gute Voraussetzung für beredte Bilder. Copony muss somit anders an die Materie heran, doch unkonventionelle Zugänge liegen ihr, das hat sie schon in Filmen wie Oceanul Mare bewiesen. In Spieler arbeitet sie einerseits mit einem Off-Kommentar, der die Studien am Pokertisch um Reflexionen über die Kondition des Spielerdaseins ergänzt. Die Entscheidung, dafür auf eine professionelle, allzu suggestive Sprecherin zurückzugreifen, erweist sich dabei eher als Nachteil. Der zentrale Protagonist, der russische Jugendliche Rustem, geht seiner Leidenschaft online nach. Er ist einer von vielen, immer jüngeren Spielern. Copony beschreibt anhand seiner Person das Gefühl der Isolation, das mit der "Spielsucht" aufkommt. Die Getriebenheit wird in dem Film, der diese Parallelwelt atmosphärisch einfängt, dennoch schwer greifbar: Am ehesten sind es die Schauplätze, die angespannte Luft in Spielhallen und Turniersälen, die dem Spieltrieb ein Gesicht geben.
(kam, DER STANDARD, 10.10.2014)
<"Spieler" - Die Pokerwelt jenseits von Hochglanz und Glamour. (Artikel)
Die vermeintlich glamouröse Welt der Hochglanz-Casinos, die man als neutraler Beobachter im Kopf haben mag und die etwa im James-Bond-Film „Casino Royale“ zur Schau gestellt wird, hat mit der realen Pokerwelt relativ wenig zu tun. Diese spielt sich zumeist online ab, wo mittlerweile mehr als 50 Millionen registrierte Spieler auf schnell erspieltes Geld hoffen - und das bei vielfach 100 Euro Einsatz pro Spiel.
Der 25-jährige Rustem, Protagonist in Coponys Doku, spielt in zwei Stunden bis zu 300 Turniere. Zig Pokertische scheinen nebeneinander auf dem Bildschirm auf, mit jedem Klick fällt eine - meist riskante - Entscheidung. Neben dem Monitor bildet die Mikrowelle, in der zwischendurch die Burger warm gemacht werden, die einzige Lichtquelle in der dunklen Wohnung, in der von Glamour keine Spur ist.
„Für die WM in Las Vegas braucht man 20.000 Dollar“, erzählt die weibliche Stimme. „Dein letztes Geld sollte es nicht sein. Man muss es verlieren können, ohne mit der Wimper zu zucken.“ Diese Mischung aus Selbstvertrauen, Zahlentalent, Disziplin und einer gewissen Verachtung für Geld illustriert Copony mit gigantischen Tischensembles, eleganten Kartentricks und gekonnten Bewegungsabläufen.
Die Lust am Risiko hat indes nicht nur die Spieler im Film, sondern auch die Produzenten und die Verleihfirma sixpackfilm ergriffen, wie die Veröffentlichung auf der Videoplattform Flimmit zeigt: Es ist bisher kaum einmal vorgekommen, dass Filme parallel zum Kinostart auch online verfügbar gemacht werden. Möglicherweise zahlt sich dieser Schritt aber besonders aus, denn Nischendokus wie jene der Grazer Regisseurin können von einem erweiterten Publikumsspektrum nur profitieren.
(tt.com - 3.10.2014)
Spieler
2014
Österreich
70 min