Ruhe auf der Leinwand
Elf Sekunden verbringt ein Museumsbesucher im Schnitt vor einem Kunstwerk. 1 Minute und 30 Sekunden lang richtet Friedl vom Gröller den Blick auf ein gemaltes Portrait. Ungerahmt auf einer weißen Wand positioniert, funktioniert die Betrachtung wie in einem white cube, der uns den Dialog mit dem Werk, ohne Störfaktoren architektonischer oder farblicher Art, ermöglichen soll. „Ruhe auf der Leinwand“ herrscht im gleichnamigen tonlosen Film im doppelten Wortsinn: Die Kinoleinwand versetzt die Zuschauer in die Position des Kunstbetrachters, nur das leichte Zittern der die Kamera haltenden Hand verweist auf die Existenz einer zwischengestellten dritten Person – wir betrachten das Kunstwerk durch deren ausgelagertes Kameraauge. Ruhe strahlt auch das abgefilmte Frauenportrait aus: Große Augen starren uns von der Leinwand an – oder fixieren einen Punkt außerhalb des Geschehens. Nach 40 Sekunden fokussiert die Kamera das Gesicht, seine Konturen sind nun wie von einem Heiligenschein gefasst. Es erinnert an eine von Paula Moderson-Becker in erdigen Tönen auf die Leinwand gebrachte junge Frida Kahlo. Gerötete Wangen, ein Grübchen im Kinn, gerahmt von einem weißen Blusenkragen, evozieren Fragen: Wer ist diese Frau? Wer hat sie gemalt? Wann ist das Porträt entstanden? Kunstwerke suchen den Dialog, sind auch ohne Zusatzinformationen zugänglich und begreifbar, sind Projektionsfläche. Friedl vom Gröllers Portrait eines Portraits in seiner Rezeptionsumgebung ruft zur Kontemplation wie Konzentration auf – ein Appell an die eigene Bildkompetenz.
(Sarah Alberti)
Unserem geschwindigkeitsbeschleunigen Zeitalter scheinen sich die meisten Menschen anzupassen. "Meine Augen sind müde", schreibt Friedensreich Hundertwasser 1957. Trotz der Kürze des Films soll zeit zu Verweilem, Muße und Kontemplation auf der Leinwand erfahrbar werden.
(Friedl vom Gröller)
Der Blick ist auf ein Gemälde gerichtet, der Ton bleibt stumm. Die Leinwand erscheint doppelt: als Projektionsfläche und als Bildfläche, auf der die Kamera ruhig ein zunächst unbekanntes Frauenporträt abtastet. Eine Kunstbetrachtung im doppelten Sinn.
(Berlinale Online, 2015)