Herbst
Menschen sind lernfähig. Tiere ebenfalls. Stofftiere auch?
Ein nicht sichtbarer Lehrer versucht, einem Stofftier das Gedicht Herbst von Rainer Maria Rilke beizubringen. Im Versuch gewinnt das Stofftier eigene, rein sprachlich vermittelte Persönlichkeit. Es folgt dem Text, es versagt, es verweigert, es begehrt auf. Auch der Lehrer schreit, schmeichelt sich ein, brüllt. Eine absurde Pädagogik en miniature. (Meinhard Rauchensteiner)
Ein Stofftier auf einem Sofa, dahinter ein Ausschnitt einer prall gefüllten Bücherwand. Offensichtlich ist die starre Kamera, die nun für fast drei Minuten nichts tun wird als dieses Bild aufzeichnen, im Wohnzimmer eines Viellesers gelandet. Die Stimme des Regisseurs aus dem Off rezitiert ein Gedicht, das sich gut in jedem bildungsbürgerlichen Haushalt macht: Rainer Maria Rilkes Herbst von 1902. Elf Verse künden von der Vergänglichkeit alles Lebens. Alles stirbt: das Blatt des Baumes, der Stern im Weltall und natürlich wir alle. Nur Gott bleibt und sieht zu, legt Rilke nahe.
Um den innewohnenden Weltschmerz zu entfalten, müssten die Verse in angemessener Form dargebracht werden. Doch was wäre die heute? Die Stimme aus dem Off übertreibt es jedenfalls von Anfang an und bellt schon die ersten Worte "Die Blätter fallen" heraus, wie wenn hier ein General seine Untergebenen am Kasernenhof auf eine gemeinsame Sache einschwören wollte. Tatsächlich entfaltet sich nun ein Lernspiel zwischen abwesendem Mensch und anwesender Maschine: Die humane, als echt geltende Stimme gibt die in Wortgruppen zerteilten Verse vor, eine blecherne, künstlich wirkende Stimme versucht sie nachzuäffen. Die Automaten-Stimme scheint mit der Stoffmaus am Sofa synchronisiert zu sein. Zwar bewegt sich ihr offener Mund nicht, aber ihre Nase leuchtet jeweils für die Dauer der Wortvorgabe von außen rot auf wie ein Record-Button eines Aufnahmegeräts. Das "sprechende Monster", wie das Spielzeug im Abspann genannt wird, verschluckt einzelne Worte wie ein dummer Gymnasiast. Es wird von der Oberlehrer-Stimme mal sanft umschmeichelt, mal genervt angeherrscht und mit Einzelwortwiederholungen gequält. So kippt der Film ins Alberne. "Der Alberne", sagt Dirk Baecker, "ist einen Schritt weiter als der Ironiker, so wie der Ironiker einen Schritt weiter ist als der Ernste."
(Thomas Edlinger)
Herbst
2015
Österreich
3 min