Tangled
Eine Nadel wird eingefädelt, dazu ertönt atmosphärisches Surren. Der Faden zittert, das Bild ist seltsam verzerrt. Finger arbeiten sich an einem Werkstück ab, dessen Materialität unklar bleibt: ein Stück Stoff mit schwarzweißem Aufdruck? Eine Fotografie auf Papier? Das Surren wird zum Rattern einer nur auf der Tonebene präsenten Nähmaschine. Fädeln, Stechen, Sticken, Vernähen: Hand und Maschine arbeiten vorerst nicht im selben Tempo, später jedoch werden sich manuelle und maschinelle Arbeit in ihrem Rhythmus angleichen. Plötzlich kommt das zielgerichtete Arbeiten zum Stillstand, die Finger verheddern sich mit Faden und "Stoff" zum aggressiven Betriebsgeräusch der Maschine - bis schließlich eine weiße, undurchsichtige Fläche übrig bleibt.
Es ist ein anamorphotisches Bild, das sich uns zeigt, durch eine endoskopische Linse verzerrt. Diese einem technisch-wissenschaftlichen Bildgebungsverfahren entliehene Technik, die ansonsten in Industrie, Archäologie und vor allem in der Medizin eingesetzt wird, verkehrt bei Tangled Innen- und Außenperspektive: Das körperliche Außen fällt mit dem Inneren, der emotionalen Verfasstheit, des nähenden Subjekts zusammen. Doch anstatt die Situation zu erhellen oder – aus medizinischer Sicht – die Grundlage einer "Diagnose" zu liefern, engt der Blick ein, und das Bild selbst sträubt sich gegen rationalen Erkenntnisgewinn. Es oszilliert zwischen Transparenz und Opazität und bezieht genau daraus seine Stärke. Denn so schmerzhaft die emotionale Verstrickung oder Verwirrung für ein nach Erkenntnis strebendes Subjekt auch sein kann, so sehr ist Tangled Plädoyer für die Undurchschaubarkeit, das Nicht-Verstehen-Können, aber auch nicht um jeden Preis Müssen. (Claudia Slanar)
Tangled
2017
Österreich
6 min