Patterns of the Conquerors
In ihrem Kurzfilm Patterns of the Conquerors blättert die Künstlerin Sascha Reichstein durch die Folianten einer umfangreichen Textilkollektion. Diese hatte John Forbes Watson, "Reporter on the Products of India", kompiliert und 1866 unter dem Titel The Collections of the Textile Manufactures of India veröffentlicht. Er wollte damit britische Textilmanufakturen auf die Vielfalt indischen Stoffdesigns aufmerksam machen, mit dem ökonomischen Hintergedanken, in England nachgeahmte "Indienstoffe" billig und industriell zu produzieren und sie dann in die britische Kolonie zu (re-)exportieren.
Die Sammlung erinnere sie an ein Herbarium, stellt eine Design-Historikerin – eine der drei ExpertInnen, die aus dem Off kommentieren, fest. Währenddessen streicht die Kamera (Martin Putz) in langsamen, abwechselnd vertikalen und horizontalen Bewegungen über die Textilteile. Entscheidend ist die Distanz zum gefilmten Material: Manchmal sucht die Linse extreme Nähe zu den Exponaten und legt deren gewebte Oberflächen mit ihren unterschiedlich dichten Gewebsstrukturen wie winzige, organische Landschaften frei. Suchbewegungen folgen den Verläufen der Musterungen und bringen filigrane Fäden in Fokus, die sich wie kleine Fühler aus den Stoffen strecken. Unbewegte Großaufnahmen alternieren mit gleitenden Kamerablicken, die Kamera produziert haptische Bilder, die an unseren Tastsinn appellieren. Manche der atemberaubenden Stoffmusterungen füllen den gesamten Bildausschnitt; andere Designs wiederum rückt Reichstein fragmentiert und mit ihren Beschriftungen ins Bild. Dadurch bringt sie den Ordnungssinn des Sammlers ins Spiel, der mit seiner Textil-Taxonomie die Vielfalt der Produktionen gezielt in überschaubare (und nachahmbare) Warenmuster herunter bricht.
Am Ende zieht sich die Kamera zurück und gibt erstmals den Blick auf ein ganzes Buch frei: Es liegt geschlossen, mit weißem Stoff umwickelt, auf dem Tisch – durch die Entfernung unserem haptischen Blick entzogen. Kongenial entfaltet Sascha Reichstein in dieser Spannung zwischen haptischer Nähe und optischer Distanz die Spannung zwischen stofflicher Materialfülle und dem (post-)kolonialen Zugriff darauf. (Alexandra Seibel)
1866 kompilierte John Forbes Watson diverse Muster südasiatischen Textilhandwerks in einem Buch, um sie seinen britischen Landsleuten zu zeigen. Diese konnten nun, nach dem Muster einer Kolonialherrschaft, billige Fabriks-Imitate produzieren und gewissermaßen retour exportieren, zum Beispiel nach Indien, Pakistan oder Bangladesch. Einer klaren Struktur folgt auch die Gestaltung des Films: Experten der Design-Geschichte erläutern auf der Tonspur, während die bestrickenden Texturen auf der Leinwand nach allen Regeln der Kunst verflochten und verknüpft und verfilzt und verwoben werden. (Viennale 2017)
Patterns of the Conquerors
2017
Österreich, Großbritannien
21 min