l´avenir? de F.v.G?
l´avenir? de F.v.G? beginnt mit einem Schwenk entlang einer Galerie großer Waschmaschinen in einem Waschsalon. In der Drehbewegung erfasst die Kamera auch eine Frau, sie sitzt leger auf einem Tisch und schaut nach links oben – also quasi zurück, nämlich gegen die Richtung, in die die Kamera sich bewegt. Ihr Ausdruck hat etwas unbestimmt Fragendes. Was ist es? Die Kamera kommt vor dem Bullauge eines Elektrolux Wascator zum Stillstand und schneidet dann ohne zu zögern auf die Frau in der Halbtotalen: Corinne ist ein wortwörtlicher Talking Head. Sie spricht Gebärdensprache. Dazu benutzt sie alle Fasern ihres im Kader sichtbaren Körpers: Mund, Augen, die verschiedensten Muskeln ihres Gesichts. Sie zieht die Schultern an und lässt sie wieder hängen. Aber ihre langen, schlanken Hände und Finger, deren Beweglichkeit von den schillernden, auf ihrem rechten Arm tanzenden Armbändern betont werden, sind das Zentrum ihrer Sprache.
Corinne zur Seite gestellt wird Aisha. Auch Aisha spricht mit Hilfe ihrer Hände und Finger – die allerdings ganz starr geworden zu sein scheinen, verkrampft und verzerrt von den durch Arthrose verdickten Knöcheln. Sie ist Hellseherin aus dem Senegal. Ihr Medium sind Kaurimuscheln, die sie auf den Tisch wirft und aus denen sie – von Muschel zu Muschel weisend – vorliest. Corinne hört zu – ihr Lächeln strahlt wie ihre Armbänder – oder übersetzt die Weissagungen. Eine dritte Frau, die nur in Rückenansicht ins Bild kommt, füttert die Maschine mit Geldstücken. Auch sie trägt Armbänder: ist sie Teil des Rituals?
In l´avenir? de F.v.G? wird Sprache sichtbar gemacht. Sprache ist Handarbeit und dient der Deutung dessen, was ist und dessen, was vielleicht wird. Was vor unseren Augen entsteht, ist ein Stummfilm aus einem mythischen Universum, einem Reich der Frauen, die Fragen stellen – und geduldig und ironisch alles in Frage stellen. (Sylvia Szely)
Viennale Katalogtext 2019
Viennale Katalogtext 2019
Erste Bank Mehr-WERT-Filmpreis (Preis (Auszeichnung))
Jurybegründung
"L´AVENIR? DE F.V.G.?, einer der jüngsten Kurzfilme der produktiven Friedl vom Gröller, ist ein Werk, dessen Knappheit und Verspieltheit über den erstaunlichen Ideen- und Beziehungsreichtum und die formale Weite hinausreicht. Ein Porträt von zwei Personen – einer gehörlosen Frau und ihrer senegalesischen Freundin – und zwei Formen nicht gesprochener Sprache, die sich grundlegend voneinander unterscheiden und für die meisten Zuschauer vermutlich unverständlich sind: Gebärdensprache und das Wahrsagen mit Kaurimuscheln. Unbekannte Bedeutungsformen und das Geheimnis der Magie der Wahrsagung bilden einen inspirierenden Kontrast zur all-täglichen Normalität des Sets: ein öffentlicher Waschsalon. Durch Struktur und Ausdruckskraft des Films erhalten die unter-schiedlichen Sprachen der beiden Frauen eine filmische Entschlüsselung, die sie auch für die Unkundigen, verständlich macht." (Silvia Bohrn, Boris Manner, Jed Rapfogel)
l´avenir? de F.v.G?
2018
Österreich, Frankreich
4 min