Widerstandsmomente

Aktualität so mit dem Historischen verweben, dass daraus ein vielstimmiger, zugleich eindringlicher Resonanzraum entsteht. Verstreute Ansätze, Aktionen, Haltungen politischer Dissidenz so miteinander verzahnen, dass sich ein größeres, wiewohl heterogenes Tableau auszuformen beginnt. So lässt sich die Maxime hinter Jo Schmeisers Widerstandsmomente fassen, ein polyvalentes, zugleich um den Fokus Anti-Autoritarismus gebündeltes Narrativ. Da sind zunächst die Selbstzeugnisse gegenwärtiger Aktivismen, vorgebracht von zehn Gesprächspartnerinnen zwischen Linz, Wien und Berlin. Inszeniert an Orten, die für die Frauen Widerstand bzw. Freiheit von diskriminierenden Zwängen bedeuten, stecken die Aussagen einen weiten agitatorischen Rahmen ab, der angesichts der gegenwärtig um sich greifenden neurechten Politik umso mehr an Brisanz gewinnt. Das Netz in Raum und Zeit spannt sich – ungezwungen, wie von selbst verlaufend – zurück bis in die 1930er- und 1940er-Jahre. Ohne dass dabei Vergleiche oder eine (sinnlose) Relativierung von Damals und Heute vorgenommen würden. Vielmehr hallt in den historischen, meist über Tondokumente zugeschalteten Stimmen ein ebenso facettenreicher wie situativ-gebrochener weiblicher Widerstands-Chor nach: von den Kämpferinnen der "Gruppe Soldatenrat", die Wehrmachtsangehörige während des Zweitens Weltkriegs zur Desertion bewegen wollten, bis hin zur Zwangsarbeiterin, die allen Mut zusammennahm, um dem brutalen Bauern selbstverteidigend Paroli zu bieten. Derweilen streift der Blick über heutige, seltsam ambivalent wirkende Schauplätze wie Weinbaugebiete, eine Großdruckerei mit ihren weitgehend automatisierten Abläufen, oder das Audimax der Universität Wien, wo Billiglohn- und Wissensarbeit einander die Klinke in die Hand geben. Historische Artefakte, pointierte Inserts, ja auch politische Witze setzen gelungene Kontrapunkte. All dies macht Widerstandsmomente zu einem kunstvoll über Raum und Zeit distribuierten Kollektivansinnen, dessen Kraft (und aktuelle Notwendigkeit) in seiner produktiven Offenheit und Unabschließbarkeit liegt. (Christian Höller)

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Trailer
Weitere Texte

Viennale Catalogue Text 2019

“Our town is burning”: it is with those words – written by Mordechai Gebirtig in 1938 – that Jo Schmeiser introduces us to modern resistance.
The film takes us back and forth in time, trying to define what it means to resist, to take action against the injustice and curtailed freedoms that go unnoticed in our daily lives. It is a gallery of portraits united by their resilience and determination, by their lucidity and strength. MOMENTS OF RESISTANCE escapes the usual format of the militant film, creating a space for reflection in which the spectator takes active part.
The film itself is imbued with the same sense of urgency that is expressed by all the characters: an imperative need to stop the fire burning our towns and to call everyone to join in the struggle. The camera seems to take part in this movement, going from places to faces looking for a sign, a trace of the fights being continued every day in an exhausting routine that neither scares nor weakens the fighters on the screen. The film lays pieces of experiences in front of us, recordings, writings, places, and ideas that form themselves little by little into a timeless call to action: a call that resonates in our eyes beyond the end credits. (Rebecca DePas)

Viennale Katalogtext 2019

Wie Widerstand aus weiblicher Sicht aussehen und was er bedeuten kann? Die österreichische Filmkünstlerin und Aktivistin Jo Schmeiser geht anhand unterschiedlicher Frauenporträts der Frage nach, wie widerständige Momente – in Ausnahmesituationen wie im Alltag – zu einer politischen Lebenshaltung werden. Die quer übers Land verstreuten Erzählungen mehrerer Generationen sowie klug eingesetzte historische Tondokumente – vom antifaschistischen Widerstand der vierziger Jahre bis zur Zwangsarbeiterin – formen dabei einen eindringlichen Kanon. Vor allem aber einen Ruf nach Öffentlichkeit, nach Engagement und kollektivem Schutz. Ein filmischer Appell. (Michael Pekler)

Jurybegründung THIS HUMAN WORLD 2019 - Bester Österreichischer Film (Preis (Auszeichnung))

Jurystatement:

Der diesjährige Preis der Austrian Competition geht an einen Film, der sich mit zeitgeschichtlichen Momenten, aber auch mit Momenten der Gegenwart beschäftigt - Momente in denen Haltung gezeigt wird. Feinfühlig und mit mutiger Montage erzählt die Filmemacherin die Geschichten couragierter Frauen und schafft es einen Dialog über Generationen hinweg herzustellen, der Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Es sind Geschichten von individuellen Entscheidungen, die gerade in Zeiten wie diesen, in denen Menschen weltweit mit Situationen konfrontiert sind, die nicht einfach hingenommen werden können, besonders wichtig sind erzählt zu werden. Geschichten, die uns daran erinnern nicht einfach wegzuschauen.

Jury: Marie-Christine Hartig, Kenan Kilic, Vanessa Spanbauer

Orig. Titel
Widerstandsmomente
Jahr
2019
Land
Österreich
Länge
98 min
Regie
Jo Schmeiser
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Verschiedene
Untertitel
Englisch, Französisch
Credits
Regie
Jo Schmeiser
Drehbuch
Jo Schmeiser
Kamera
Sophie Maintigneux
Ton
Nora Czamler
Montage
Michael Palm
Dramaturgische Beratung
Karin Berger
Produktion
PLAESION Film + Vision e.U., Peter Janecek, Jo Schmeiser
Protagonist*in
Ana Antić, Zahra Khan, Leyla Ariz, Alia Malik, Gergana Mineva, Ines Mahmoud, Judith Umathum, Rúbia Salgado, Marie Paul, María Cristina Boidi
Grafik
Richard Ferkl
in Zusammenarbeit mit
ORF Film/Fernseh-Abkommen
Mit Unterstützung von
Nationalfonds der Republik Österreich, Wien Kultur MA 7, Otto Mauer Fonds, Zukunftsfonds Republik Österreich, Stadt Graz, Land Steiermark, Land Oberösterreich, Land Niederösterreich, BKA - innovative film
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Tonformat
5.1 surround
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2019
Wien - this human world International Human Rights Film Festival
Wien - Viennale - Int. Filmfestwochen
2020
Glasgow – Femspectives, Feminist Film Festival