Die Strände / Les plages
Aufnahmen vom Strandurlaub einer Familie. Körniges Super-8-Material erzählt in wechselnden Farbstichen von zart schäumenden Wellen, die der Wind an einer Adria-Küste vor sich hertreibt. Kleine Kinder spielen am Wasser, beaufsichtigt von der Mutter. Der Vater tritt hinzu. Eine ältere Dame geht vorbei, dann ein Mann, der im Vordergrund Drachen steigen lässt. Die Bilder sind in blasses Rosa, Gelb und Blau getaucht.
Astrid Ofners fragiles, analoges Filmmaterial würde von der Sehnsucht nach vergangenen Stunden des sommerlichen Glücks und der familiären Verbundenheit erzählen. Wäre da nicht die Stimme von Sylvie Rohrer, die bereits bei den ersten Aufnahmen vom plätschernden Meer mit aufbrausender Stimme aus dem Off über die Bilder herfällt. "Ich muss das Unglück als einen natürlichen Zustand erlebt haben", zitiert Rohrer die Worte von Marguerite Duras aus einer Interviewpassage: "Alle Frauen müssen gelitten haben, ohne dass es ihnen bewusst war", fährt Rohrer fort: Besonders dann, wenn Frauen davon erzählten, wie glücklich sie bei den Familienurlauben am Meer gewesen wären, als die Kinder noch klein waren, würden sie einer Lüge aufsitzen. Das Glück, an das sie sich zu erinnern glauben, sei von Männern diktiert gewesen, denn: "Die Strände machten verrückt vor Langeweile."
Sylvie Rohrers desillusionierte Stimme zerschneidet die Beschaulichkeit der Urlaubsbilder und gibt der scheinbar harmlosen Konstellation von Vater, Mutter und Kindern eine geschlechtsspezifische, neue Lesart. Die Härte der biografisch gefärbten Abrechnung einer wütenden Frau entkleidet das Super-8-Material, das vage an Home-Movies aus den 70er Jahren erinnert, seiner impliziten Retro-Nostalgie. Ihre Absage an patriarchal geprägte Glücksvorstellungen von der heilen Familie kommt zeitverzögert, aber geballt daher: Einmal, indem Astrid Ofner die Textstelle von Duras auf Deutsch, drei Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen aufruft und als Tonspur parallel zu ihren historisch anmutenden Bildern einsetzt. Ein zweites Mal, indem sie ihren Film wieder beginnen lässt und Sylvie Rohrer den Text noch einmal auf Französisch rezitiert. Diese langsame Annäherung an das Original lässt Marguerite Duras unmittelbarer klingen als in der deutschen Übersetzung, aktualisiert ihre Worte für unsere Gegenwart und macht sie aggressiver und unversöhnlicher. (Alexandra Seibel)
Es ist Sommer. Ein Sommer am Meer. Es ist heiß, ein Wind weht und die Wellen schäumen im unendlich melodischen, ewig gleichen Rhythmus der Gezeiten an den Strand. Kleine Kinder spielen, eine Mutter passt auf, der Vater kommt hinzu. Eine ältere Dame geht vorbei, später ein Mann, der Drachen steigen lässt, die bunt im Wind vorüberziehen. Alles ist still und träge. Das Meer gleichförmig, das Licht ebenso.
Ein ewig gleicher Ferientag am sandig flachen Strand der Adriaküste. Familienurlaub, endlose Stunden, Langeweile, Erinnerungen und Träume. Sehnsucht nach Aufbruch in ein anderes Leben, nach einer neuen Liebe, nach Überschreitung.
Körnige Super8mm Aufnahmen, grünliches Licht, blasse Farben und die Stimme von Sylvie Rohrer hallig, wie am Telefon. Und ein paar Gedanken von Marguerite Duras darüber, was Frauen bräuchten und Männer brauchen. (Astrid Ofner)
Viennale catalogue text 2019
Viennale Katalogtext 2019
Die Strände - Les plages
2019
Österreich
10 min
Experimental
Deutsch, Französisch
Englisch