TOVO
Für die Peripatetiker, die wandernden Denker der Antike, kamen die besten Einfälle beim Umherwandeln. Der Rhythmus des Gehens macht den Kopf frei, sinnliche Erfahrungen in freier Natur regen die Gehirnströme an. Auch Nietzsches Gedanken entstanden in der Bewegung, nicht am Katheder. Bei seinen exzessiven Wanderungen im Schweizer Oberengadin hatte er stets den Notizblock dabei, nächtens formulierte er aus. Der Zeichner, Maler, Grafiker, Filmmacher Thomas Steiner hat sein Sils Maria in einem anderen Bergdorf gefunden, im norditalienischen Ligurien: Tovo Faraldi, Ortsteil von Villa Faraldi, ist zu seinem Denk-Ort geworden. Die Kamera ist sein Notizblock, die Aufnahmen werden im Nachhinein mit furiosem Zeichenstift, Mehrfach-Bildüberlagerungen und Werner Puntigams kraftvoll-roher Klanglandschaft zu Ende, besser: weitergedacht.
Durch einen – gefilmten und nachgezeichneten – Torbogen betreten wir eine Steinkapelle und finden uns bald auf einem Wald- und Wiesenpfad mit Wegkreuzen wieder, der in der Folge mehrmals abgeschritten wird. Die multiple Bewegung im Schwarzweiß dieses spezifischen Orts tut ihre Wirkung. Es gurgelt, scheppert und rollt am Boden, die Schärfezonen tanzen, animierte Striche in Terrakotta-Gelb-Braun-Schwarz- und Ockertönen nehmen überhand, mit wenigen Farb-Splashes kommen ein paar Rottöne hinzu. Kann man Flüchtiges festhalten? Explosionsartige Verdichtungen, Euphorisierungen, Ameisenhaufen. Gedanken sind wie Insekten, die einen umschwirren („Fliegen im Schädel“), Jackson Pollock, kleine Flammen oder Geistesblitze, elektrische Entladungen. Wir gehen in Gegenrichtung durch die Kapelle hinaus, hin zu einem unbezeichneten Baum in satter Naturlandschaft.
In Barcelona gibt es die TOVO Academy, deren intelligentes Fußballtraining darauf ausgelegt ist, Spieler mit großer Erkenntnis und Weitblick auszustatten. Weniger akademisch und in nur acht Minuten gelingt dies auch dem Wanderer in Tovo Faraldi.
(Regina Schlagnitweit)
TOVO
2020
Österreich
8 min