Letters from a Window

Letters from a Window ist klar strukturiert. Auf der Bildebene ausschließlich angehaltene Filmkader, hart und unterschiedlich lang gegeneinander geschnitten. Die überwältigend schnell ablaufenden Bilder wirken wie kurze Impressionen einer von einer anonymen Macht in die Knie gezwungenen Welt. Die Blickperspektiven auf Menschen, Orte und Objekte wechseln ständig. Auf der Tonebene, kontrapunktisch zum Stakkato der dystopischen Bilderflut, hört man eine warme, unaufgeregte Frauenstimme, die in einem kontinuierlichen Redefluss liebevoll und sehnsüchtig eine oder einen N. adressiert. Sie bezieht sich direkt auf die Bilder, als könnte sie sie aus dem filmischen Fenster sehen, während sie spricht.

Man fragt sich, in welcher Zeit dieser Film, eine Kollaboration von Nigel Gavus und İlkin Beste Çırak, „spielt“, weil er offensichtlich weit mehr ist als ein künstlerischer Kommentar zur Pandemie Krise 2020/21, also kein „Anlassfilm“. Die Frau blickt aus einer (hoffentlich) nicht allzu weit entfernten Zukunft zurück. Die Welt war „damals“ der totalitären Überwachung einer anonymen Macht ausgeliefert. Das gesellschaftliche Gefüge war auseinandergebrochen, und damit Solidarität, Nähe und Unterstützung. Jede, jeder litt, total isoliert, nur auf sich selbst zurückgeworfen.

Aber dann erscheint die Briefeschreiberin plötzlich selbst in den – bis dahin dokumentarisch anmutenden – Fotos. Fiktion und Realität überschneiden sich. Sie ist der einzige Mensch ohne Gesichtsmaske, extrem verletzbar, als Zeitzeugin ohne Bezug zu den anderen Menschen. Ihr erster Satz lautet (übersetzt, sie spricht türkisch): „Wie hat das alles angefangen?“ Aber später dann im Präsens: „Ich schließe meine Augen.“ Dann kommt eine Schwarzfilmsequenz. Auch wir sehen nichts mehr. Wir befinden uns in ihrem Kopf, in ihrer fiktiven Gegenwart. Ein kurzer, langer Film auch über die Zeit. (Birgit Flos)

Orig. Titel
Letters from a Window
Jahr
2020
Land
Österreich
Länge
4 min 30 sek
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
Türkisch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Nigel Gavus, Ilkin Beste Çırak
Konzept & Realisation
Nigel Gavus, Ilkin Beste Çırak
Kamera
Nigel Gavus
Schnitt
Nigel Gavus
Text
Ilkin Beste Çırak
Performer*in
Ilkin Beste Çırak
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
4:3
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
Farbe
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Bildfrequenz
25 fps
Festivals (Auswahl)
2021
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Wien - VIS Vienna Shorts (ORF.AT Publikumspreis)