Dünner als zwei Zehntausendstel eines Millimeters
Als „infra-mince“, als hauchdünn, hat Marcel Duchamp einst das Verhältnis des Möglichen zum tatsächlich Eintretenden bezeichnet. Ebenso minimal, „dünner als zwei Zehntausendstel eines Millimeters“, ist die Versuchsanordnung in Gregor Eldarbs gleichnamigem Film. Seifenlauge, diverse Rahmenvorrichtungen und Spiegelungen eines Computerbildschirms bilden das Ausgangsmaterial, aus denen sich Schritt für Schritt ein hochfragiler Kosmos des „Infradünnen“ aufbaut. Dabei erfolgt die Bildgenerierung – stets in Schwebe und nach kurzer Zeit wieder passé – über den gesamten hier aufgespannten Apparat hinweg: Die elektronischen Bilder auf dem Monitor (Szenen kurzer Experimente und im Film verwendeter Handgriffe) sind nicht selbst zu sehen, sondern treten als Spiegelungen auf den Seifenwänden in Erscheinung. Wobei ihre Rasterung – einzeln, in Zweierkombinationen oder als kunstvoll überlagerte Raumkonstrukte – einer Geometrie und Zeitlichkeit folgt, die nicht die der wahrnehmenden Subjekte sind. Die Maschine selbst, ihr betrachterunabhängiges Dispositiv, erzeugt die Sinnesdaten. Wobei der musikalische Puls, teils vom Klang tropfenden Wassers abgeleitet und zu temporären Sturzbächen verdichtet, den nicht-anthropomorphen Charakter des Sichtbaren verstärkt. Doch die nicht von individueller Hand gesteuerte, sich allem Subjektiven entziehende Fragilität reicht noch weiter: Stehen doch die an Drähten aufgezogenen Projektionsschirme, teils selber in Bewegung, ständig vor dem Zerplatzen, was der Dynamik zwischen dem kurz vor Augen geführten Virtuellen und dem schon wieder nicht mehr Aktuellen kongenialen Ausdruck verleiht. Instabilität triff auf Vergänglichkeit höherer Ordnung. Schwarzweiße Ausgangsbilder erstrahlen in buntesten Regenbogenfarben. Die infradünne Welt des plötzlich Möglichen blitzt für kurze Momente auf. (Christian Höller)
Ausgangspunkt des Videos Dünner als zwei Zehntausendstel eines Millimeters sind die gestaltungsbildenden Prozesse der Natur. Inspiriert ist die Arbeit unter anderem von dem deutschen Architekten Frei Otto. In seiner Arbeit ging es ihm um eine intelligente, leichte und nachhaltige Form des Bauens, die ihre Gestaltungs- und Konstruktionsformen der Natur entlehnt. Da Prozesse in der Natur ohne Zutun des Menschen ablaufen, werden sie auch Selbstbildungsprozesse genannt. Für meinen Film habe ich dementsprechend Rahmen bzw. Objekte gebaut, auf denen Seifenfilme hängen. Auf diesen unterschiedlichen Objekten sind Spiegelungen von Images auf einem Monitor (Filme, Abstraktionen, kunsthistorische Gemälde) zu sehen. Maßgeblich für die Ästhetik der Arbeit sind sowohl die typischen Bubble-Bewegungen von Seifenblasen, als auch die Regenbogenfarben, die durch die Interferenz von Lichtwellen an der dünnen Seifenhaut entstehen.
Die Versuchsanordnung bestand aus einem Tisch, einem Monitor und unterschiedlich geformten Drahtobjekten: u. a. ein sich drehendes Oval, viereckige Rahmen, konkave Formen, aber auch geometrische Formen, die zudem noch mit Fäden unterteilt worden sind. Je nach Dicke der Seifenwände ist die Dauer des Farbenspiels mehr oder weniger lang. Optimale Bedingungen für die Sichtbarkeit der Interferenzfarben sind eine indirekte Beleuchtung (mit 45 Grad Einfallswinkel und Aufnahme der Reflexion bei 45 Grad Ausfallswinkel) und ein dunkler Hintergrund.
Ein überaus wichtiger Faktor ist überdies die Zeit, da die Kombination aus Gravitation und Kapillarkraft eine inhomogene Wandstärke der Flüssigkeit bewirkt, die sich nach unten ausdünnt und immer farbloser wird („destruktive Interferenz“) bis sie nach circa einer Minute zerplatzt. Diesen physikalischen Grundgesetzen entsprechend wurden Bilder auf einem Bildschirm in den diversen Formen der Seifenwände gespiegelt, darunter die filmisch dokumentierten Experimente (1) von Frei Otto, aber auch kunsthistorische Referenzen von Manet, Man Ray oder Buckminster Fuller sowie eigene Fotos und kurze Videos, die die Versuchsanordnung selbst (die geometrischen Objekte, aber auch diverse Farbanordnungen etc.) reflektieren.
Wie sich diese Farbanordnungen, Formen oder auch die verschiedenen Materialien wie Beton auf einem Seifenfilm verändern, zeigt der Film sehr schön: schwarzweiß-Bilder werden farbig, Formen verlieren ihre Konturen und eigentlich starre Oberflächen beginnen zu vibrieren.
Kunsthistorische Recherchen haben gezeigt, dass beim Einsatz von Seifenblasen bautechnische Aspekte (Buckminster Fuller oder Frei Otto) genauso wie imaginativ-malerische (Manet, Man Ray) eine Rolle spielten. Wesentlich für den Film war etwa auch die Idee, dass das Ergebnis nicht vorauszusehen ist, weil in dem Fall die (Mal-)Fläche, also die Leinwand, instabil ist und dies die Farbverläufe und Formen wesentlich mitbestimmt. Zudem gibt es zwei Zeitverläufe, die ineinandergreifen: der Ablauf des projizierten Videos oder Bildes und der Seifenfilm, der aufgrund physikalischer Bedingungen am Ende – wenn die Seifenblasenwand „dünner als zwei Zehntausendstel eines Millimeters“ ist – auf Selbstzerstörung hinausläuft. (Gregor Eldarb)
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(1) Modeling with soap films, Institut für Leichtbau, Universität Stuttgart, Regie: Frei Otto (Videostills)
Dünner als zwei Zehntausendstel eines Millimeters
2020
Österreich
8 min