Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin
Bunt angemalter Wohnblock: Flippa sitzt in ihrem Zimmer, umgeben von Zeichnungen, raucht, schreibt ins Tagebuch, und die Go-Go-Goths singen: Und an manchen Tagen, da kann ich’s nicht ertragen. Die Mutter ist schon lange verschwunden, die große Schwester ebenso – wie auch der Glaube an die bedingungslose Liebe.
Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ ziert eine Postkarte mit 3D-Effekt: ein Lebenszeichen von Schwester Furia, die vor Jahren nach Sardinien, ins „Mother Child Resort“ Barranconi abgehauen ist. Flippa begibt sich auf Reisen, ihre Gedanken auf der Tonspur wechseln mit der Erzählstimme von Susanne Bredehöft als Himmelsmutter. In Sardinien wird ihr Furia eröffnen, dass das Paradies kein Ort sei, an dem man sich nach Freiheit sehnt. Genau deshalb muss man sich daraus befreien. Inga Busch, eine weitere Ikone der Berliner Volksbühne, sekundiert: „Mann, es gibt Möglichkeiten, und die gilt es auszuprobieren.“ Später wird sie mit Motorsäge das Jesuskind von einer hölzernen Muttergottesstatue abtrennen.
Die Witches von Barranconi feiern Party mit der überraschten Dorfbevölkerung, den Jungs vom Campingplatz und der Kamera, die unter der Sonne Sardiniens den schönsten Einfällen nachgeht. Ein mitreißendes Gefühl des Ausprobierens und Erkundens stellt sich ein, und wenn Flippa dem jungen Mann, der mit ihr nach Korsika will, ihre Lesart von Jane Austen erklärt, dann tut sie das mit Zahnspange, weil es einfach gute Laune macht.
Am Ende ertönt zu verschliffenen Orgelklängen ein Cover von Thee Oh Sees’ Trennungshymne „The Axis“: I don’t want to see you in the morning / I will never lay by your side / And by the time you hear these words / Your wicked face will be gone from my mind. Bei Jimi Hendrix, in der Zeit von „Axis: Bold as Love“, vermochte die Liebe noch die Achse der Welt zu verändern. Flippas Generation, keineswegs ängstlich, kämpft mit dem „heterosexuellen Knoten – dem Moment, da Du liebst, was Liebe nicht retten kann“. (Regina Schlagnitweit)
Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin
2023
Österreich, Deutschland
100 min
Experimental, Fiktion
Deutsch, Italienisch, Mandinka
Englisch