Testudo Hermanni
Salzburg bei Abenddämmerung. Im Haus übertönt klassische Musik die Kirchenglocken der Stadt. Im Gegensatz zur weißen Winterlandschaft im Bob Ross-Kalender, ist der Salzburger Untersberg noch kaum mit Schnee bedeckt. Die Felder erstrahlen in sattem Grün, ebenso der Garten, in dem Tonys Sommerhaus steht. Das Außenthermometer zeigt 14° an, jenes im Kühlschrank konstante 5° - die ideale Aufbewahrungstemperatur für Frischkäse, Joghurt, Milch und für Tony, der in Laub eingebettet im Gemüsefach überwintert. Sein Porträt schmückt die Kühlschranktür: Tony ist Anthonys Schildkröte, 23 Jahre jung und etwa 1300 Gramm schwer.
Auf 16mm beobachtet G. Anthony Svatek die Pflege, die seine Mutter Kathleen Tony zukommen lässt, seit die Winter in den Alpen zu mild geworden sind, um Testudo Hermanni, der griechischen Landschildkröte, die notwendigen Bedingungen für eine mehrmonatige Winterstarre zu bieten. Fragmente heimeliger, liebevoll gestalteter Lebensräume und ein amüsanter Blick für Details fließen sanft und nahtlos ineinander, halten fürsorgliche Hände und kleine Gesten fest, hinter denen sich Größeres verbirgt. Ebenso unbeschwert und doch gewichtig wie die Pflegeroutine Kathleens, erzählt sich auch Testudo Hermanni: Texteinblendungen setzen die Akzente der einfachen und direkten Erzählung, Mozarts Opera buffa verleiht ihr sowohl amüsante Leichtigkeit als auch gefühlvolle Tiefe. So offenbart sich das Porträt einer Mutter, einer Schildkröte und milder Winter auch als Beziehungsgeschichte, die im Angesicht der Unvorhersehbarkeiten eines sich verändernden Klimas, der Zunahme extremer Wetterereignisse und starker Temperaturschwankungen eine Resilienz entwickelt, in der nicht nur Vor- sondern vor allem auch Fürsorge eine wesentliche Rolle spielt. (Martina Genetti)
Testudo Hermanni
2023
Österreich, USA
7 min
Experimental
Kein Dialog
englische Textinserts