Babyboy
Im mannigfach auserzählten Irrgarten des jugendlichen Heranwachsens stellen sich seit jeher Fragen an geschlechtliche Rollenbilder, die bedient oder über den Haufen geworfen werden wollen. Was dabei oft vernachlässigt wird, sind ebenso relevante Lebensvoraussetzungen, die an Klasse und Herkunft gebunden sind. Die große Stärke von Jannik Weißes einfühlsam beobachteten Babyboy ist, dass er all das zusammendenkt. Sein Protagonist, der 16jährige Vincent, sucht sich selbst in einer erstickend banalen deutschen Kleinstadt zwischen getrennt lebenden Eltern, einer ersten Liebe, dem Footballtraining, Dates im Einkaufszentrum und Geburtstagsfeiern bei McDonalds. Die Tristesse und Schönheit der unteren Mittelklasse, Deogeruch strömt förmlich aus den Bildern. Beständig wird Vincent mit Erwartungen konfrontiert, die ihn als Mann, Freund oder Sohn einrahmen wollen. Es ist nur so, dass er keiner dieser Erwartungen so richtig entsprechen will. Stattdessen oszilliert er zwischen introvertierter Flucht und plötzlichen Ausbrüchen. Er sucht die Nähe zu seinem Vater, der längst eine andere Familie gegründet hat. Er möchte irgendwo dazugehören, wird aber ständig abgestoßen. Die damit einhergehende, verletzliche Unsicherheit wird von Hauptdarsteller Lukas Redfern grandios in eine anhaltende Körperspannung übersetzt, sodass jeder Schritt Vincents zum kleinen inneren Kampf gerät. Die generischen, sentimentalen Regungen des Films werden von dessen genauer Milieu- und Charakterbeobachtung auf ein wahrhaftigeres Level gehoben. Schließlich erkennt man, dass Männlichkeit hier vor allem Menschlichkeit bedeutet. (Patrick Holzapfel)
Hannover Film Festival 2024: Deutscher Nachwuchspreis für BABYBOY (Preis (Auszeichnung))
Jurybegründung
Eine Inszenierung, die die Geschichte, die sie erzählen will, auf authentische und ehrliche Weise erzählt. Der Film hat uns in eine Zeit zurückversetzt, in der sich die Welt wie eine Menge Dinge anfühlte. Um nur ein paar davon zu nennen: überwältigend, beängstigend, kompliziert, schnell, aber auch hoffnungsvoll, bedeutungsvoll, aufregend und unentdeckt. Meistens waren diese Gefühle so ineinander verwoben, dass es schwer war, das eine vom anderen zu trennen. Der Regisseur schafft es, diese Themen auf eine so ehrliche Art und Weise zu erzählen und uns gleichzeitig in eine andere Welt voller Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten zu entführen, die in unserer Gesellschaft oft übersehen werden. Er erzählt uns die Kämpfe des Erwachsenwerdens nicht nur aus der Perspektive des Jugendlichen, sondern auch aus der Perspektive der Menschen um ihn herum. Der Regisseur zeigt uns, wie schwer es ist, seine Rolle als junger Mensch in einer Gesellschaft zu finden, in der das Gefühl besteht, dass sie bereits für einen entschieden ist. Der Film fesselt einen von der ersten bis zur letzten Sekunde und bleibt seiner Erzählweise treu. Diese Authentizität, die wir in den Dialogen und im Spiel erlebt haben, wurde wunderbar unterstrichen durch das schöne Tempo, das im Schnitt geschaffen wurde, und die beobachtende Kameraführung, die uns das Gefühl gab, dass wir im selben Raum waren und uns genauso aufgeregt, verloren oder überwältigt fühlten wie der Protagonist. — Wir freuen uns auf alles, was von Jannik Weiße kommt und 'Der Deutsche Nachwuchsfilmpreis 2023' geht an "Babyboy".
––>
Babyboy
2023
Deutschland, Österreich
48 min