Ruletista
Hochhausriegel stoßen gleichgültig Richtung Himmel, während sich eine ältere Dame (Margarete Tiesel) in gebückter Haltung über die Fußwege und durch die Gänge der von mehr als fünfzig Jahren dezent verschlissenen sozialutopischen Satellitenstadt schiebt. In ihren Armen ein Paket, darin ihre verstorbene Katze, ein stummer Zeuge des sich anbahnenden Freitods der Frau. Im Wiener Wohnpark Alterlaa, durchaus andächtig und jedenfalls mythisch übersteuert „Stadt in der Stadt“ genannt, sind die Leben Hunderter und Tausender übereinander gestapelt, fein säuberlich voneinander abgetrennt und kaum in Gefahr plötzlicher Vergemeinschaftung; Mikrokosmen innerhalb einer Makrovision, wo zwischen Körperertüchtigung mittels rhythmischer Wassergymnastik und seelischer Verelendung mit angeschlossenem Selbstmordwunsch zuweilen nur ein Flur und eine Wohnungstür liegen.
Lukas Valenta Rinner verquickt in Ruletista, durchaus launig und immer eigensinnig, Bilder, Figuren und Atmosphären eines dem österreichischen Gegenwartskino eigenen Miserabilismus mit einer lyrischen Erzählhaltung (Elevator Pitch: Ulrich Seidl und Lucrecia Martel drehen einen Film) und reißt darüber eine wahrhaftige Seelenlandschaft auf, in der das Überschreiten von Grenzen und die Nichteinhaltung von Regeln letzte Ahnungen eines romantischen Freiheitsbegriffs erlauben. Ansonsten sind hier alle Zukünfte schon vergangen, was die (übrigens: sensationelle) Filmmusik mit perkussiven und elektronischen Elementen retrofuturistisch umrahmt, was die (übrigens: famose) Kamera zwischen utopischer Fassade und Abglanz des verwirkten Innenlebens einfängt, was die ältere Dame schließlich doch noch einer Gemeinschaft zutreibt und ihr, während Blut von ihrem Gesicht tropft, ein Lächeln abringt. Eine Runde Ruletista geht immer noch. Bis es eben nimmer geht.
(Markus Keuschnigg)
Ruletista
2024
Österreich
20 min