Sie puppt mit Puppen

Porträts aus alten Filmen und Magazinen angeeignet und anonymisiert: Hinter ausgestanzten Köpfen flirren strahlende Tulpen und stachelige Kakteen. Die Blumen rotieren, tanzen, pulsieren. Gerahmt von glänzendem Haar, Perlenketten und Abendkleidern oder grauen Uniformen entwickelt sich ein botanischer Fiebertraum. Im Gegensatz zum vitalistischen Blumenbilderrausch ist die Rahmung starr und in Schwarzweiß. Dazu erklingt Kurt Schwitters’ Gedicht Sie puppt mit Puppen aus dem Jahr 1944. Schon zu Beginn wird es fragmentiert, Zeilen purzeln hin und her, bis die Wörter sich im elektronischen Beatbox-Teppich auflösen. Aus dem rhythmisch-zerstückelten Geplapper kristallisieren sich einzelne Worte. Am Ende ist der kurze Text chronologisch in Gänze zu hören. Das Video von Karin Fisslthaler entstand als visuelle Interpretation dieses Audiostücks von Anna Clementi und Thomas Stern, das Schwitters’ Gedicht umwandelt und dabei dessen Interesse an Dekomposition und Dekonstruktion aufgreift.

Aus den collagierten Silhouetten u.a. von Carole Lombard, Marilyn Monroe und Arnold Schwarzenegger entfaltet sich eine anspielungsreiche Ikonenkompresse. Bruchstückhaft blitzen in den Kino- und Popkulturschichten auch Auszüge auf, die auf die Berichterstattung über die Heroin-Schwemme der 1970er-Jahre verweisen. Durch die Hochglanzkataloge geistern die Geschichten junger Frauen, die infolge ihrer Sucht in Prostitution oder sogar in den Tod gedrängt wurden. Auch die Kontur einer am Fliesenboden liegenden Person wird floristisch grundiert. Während der Bilderstrudel sie verschlingt, ertönen weiter stakkatohaft die „kleinen Püppchen“ und die „winzigen Püppchen“. Schon in Schwitters’ verniedlichenden Begriffsmutationen innerhalb der Liebesdynamik klingt das Prinzip Differenz und Wiederholung an, das hier kinematografisch gesteigert wird, bis Kaskaden entindivualisierter Gesichter und beschaulich fotografierter Blumenbeete nahezu austauschbar scheinen. (Charlie Bendisch, Friederike Horstmann)

Orig. Titel
Sie puppt mit Puppen
Jahr
2024
Land
Österreich
Länge
3 min
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Karin Fisslthaler
Musik
Anna Clementi, Thomas Stern
Text
Kurt Schwitters
Verfügbare Formate
DCP 2K (Distributionskopie)
Bildformat
16:9
Tonformat
Stereo
Farbformat
Farbe
Festivals (Auswahl)
2024
Sarre/ Aosta - FrontDoc Intl Documentary Film Festival
Uppsala - Int. Short Film Festival
Kassel Dokumentarfilm & Videofestival