Was soll man machen. – Vor Entzücken?
Wie über die Freiheit schreiben, wenn man im Gefängnis sitzt? Wie über die Liebe, wenn man sie vermisst? Beflügelt der Wunsch nach Freiheit und Liebe die Gefühle und die Worte? „Die Liebe an sich ist wichtiger als der Gegenstand, der zu ihr anregt“, schreibt die eine Frau an die andere. Die eine ist Rosa Luxemburg, beim Verfassen dieser Zeilen als politische Gefangene in Breslau inhaftiert. Die andere ist ihre vielleicht engste Freundin, Sophie Liebknecht.
Bereits 1914, kurz nach Kriegsbeginn, gründete die überzeugte Pazifistin und Sozialdemokratin Rosa Luxemburg die „Gruppe Internationale“, aus der 1918 der gemeinsam mit Karl Liebknecht ins Leben gerufene Spartakusbund hervorging, der wiederum ein Jahr später in der neu gegründeten Kommunistischen Partei aufgehen sollte. Die Briefe, die Luxemburg in den Jahren von 1916 bis 1918 aus dem Gefängnis an Sophie Liebknecht geschrieben hat, sind geprägt von Zartgefühl und Zuneigung, Worte voller Wärme. Dabei erweist sich Luxemburg auch als akribische Beobachterin ihres leidvollen Alltags, schildert das Singen der Vögel draußen ebenso wie das Brummen eines durch ihre Zelle schwirrenden Insekts. Und tatsächlich wirken in Astrid Johanna Ofners poetischem Filmessay auch die Bilder aus der Berliner und der Wiener Gegenwart wie ein melancholischer Fluss der Liebe, des Trosts und der Hoffnung. Wie eine Brücke zwei Ufer miteinander verbindet, so überbrücken Luxemburgs Zeilen die Zeit und die Aufnahmen von Berliner Schnellbahn und Wiener Stadtpark den Raum.
„Lange kann es ja nicht mehr dauern“, schreibt Luxemburg im Oktober 1918. „Wenn Dittmann und Kurt Eisner freigelassen sind, können sie mich nicht im Gefängnis halten, und auch Karl wird bald frei sein.“ Tatsächlich wird sie im Zuge der Novemberrevolution 1918 entlassen. Doch bis zu ihrer Ermordung sind ihr nur noch zwei Monate Freiheit vergönnt. „Sonitschka, wissen Sie noch, was wir uns vorgenommen haben, wenn der Krieg vorbei ist? Eine Reise zusammen nach dem Süden … Und das tun wir!“ Voller Optimismus glaubte Rosa Luxemburg an die guten Tage nach dem Krieg, an eine gemeinsame Zeit mit der geliebten Freundin. Was soll man machen. – Vor Entzücken? ist durchwirkt von diesen Worten der unzerstörbaren Hoffnung. Und auch deshalb ein berückend schöner Film. (Michael Pekler, Diagonale 2024)
Was soll man machen. – Vor Entzücken?
2024
Österreich
60 min