Kalah
Die vollkommene Entsprechung, man könnte sagen, das Ineinanderüber-gehen von Musik und Bild realisierte Maurer in dem Film Kalah, den sie mit Zoltán Jeney in Cinemascope (Breitleinwand) herstellte. Kalah ist ein dem Schach und dem Mühlespiel ähnliches, uraltes arabisches Spiel, bei dem zwei gegeneinander antretende Spieler jeweils sechsund¬dreißig Steine erhalten, die sie in sechs Haufen anordnen. Gewonnen hat derjenige, der die meisten Steine in seine eigene „Bank" hinüberbringen kann. Maurer und Jeney geben in ihrem Film Zug um Zug eine genaue Dokumentation des letztlich mit einem Unentschieden endenden Spiels, wobei sie ausschließlich mit Farben und musikalischen-Tönen arbeiten. Das heißt jeder einzelne Stein hat eine bestimmte Farbe und eine bestimmte Klanghöhe, jedes mal, wenn sie wiederholt werden, tritt der Stein beim fol¬genden Spielzug in Aktion.
(István Antal)
Ein Film, der immer länger wird, die Presse, 06.03.2018 (Artikel)
Mit jedem Schnitt-Beat von Johann Lurfs Film „Capital Cuba“ ändert sich – ganz buchstäblich – sein Flow, die Stärke und Ausrichtung jener Laufbildkraft, die die Sinne auf ein Tempo, einen Wahrnehmungsrhythmus eicht. Wie ein Croupier, der zwei Kartendecks riffelt, schichtet Lurf zwei längere Einstellungen der Küste Havannas ineinander und befeuert so ein hypnotisches Tauziehen gegenläufiger audiovisueller Strömungen. Irgendwann kommt auf der einen Seite ein moderner Frachter mit der Aufschrift „Capital“ zum Vorschein, auf der anderen eine Fabriksruine, auf deren bröckliger Fassade das Wort „Machina“ prangt.
Eine Anspielung auf den Widerstreit zwischen Kommunismus und Kapitalismus, alter und neuer Ökonomie? Schon möglich – doch der Film zieht einen unabhängig davon in den Bann. Die Arbeiten Lurfs sind meist Konzeptkonstrukt und sinnliches Erfahrungsangebot in einem, und genau das macht ihn zu einem der interessantesten Vertreter der jüngeren Kinoavantgarde Österreichs.
Unheimliches aus Vösendorf
Das Strukturprinzip seines Schaffens? Vielleicht Bewegung und Gegenbewegung, am wuchtigsten verdeutlicht in „Vertigo Rush“: Darin artet der Hitchcock´sche Vertigo-Effekt, ein schwindelerregender Kameratrick, zu einer rabiaten Leinwandpenetration aus – bis nur noch farbige Schlieren zu sehen sind. Vielleicht ist es auch einfach das Stilmittel des Bruchs, sei es in der Raumzeit eines Films oder der Perspektive, wie im strukturalistischen Experiment „Picture Perfect Pyramid“: Aus 24 Blickwinkeln gefilmt, aber stets im Zentrum, erscheint die Pyramide Vösendorf als unheimliche Zikkurat in einer Landschaft der Banalität.
Doch im Grunde (und zum Glück) lässt sich Lurfs Œuvre nicht auf einen Nenner bringen. Seine Zugänge ändert er ebenso oft wie das Format, werkelt sowohl analog als auch digital, manchmal auch in 3-D. Nur die formale Stringenz bleibt – trotz stotternder Bilder und ruckelnder Blicke – gleich. Und der Hang zur Klangmalerei. In „Twelve Tales Told“ verkoppelt die Montage Studiologo-Sequenzen Hollywoods zu einer regelrechten Symphonie kultureller Hegemonie. Und sein jüngstes Werk, schlicht mit einem Sternensymbol betitelt („★“), zeigt eine Kompilation filmhistorischer Sternenhimmel: Ein Found-Footage-Faszinosum, dass dank periodischer Erweiterung um aktuelle Clips mit jeder Vorführung expandiert wie das Universum selbst.
Zu sehen ist es im Rahmen einer Lurf-Werkschau, die vom 8. bis zum 11. März im Österreichischen Filmmuseum läuft, in Anwesenheit des Filmemachers – ergänzt von Fotos, Grafiken, einer Kurzfilm-Carte-blanche und einer Installation. (and)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2018)