Dar-el-Beida
Reisepässe und lebensrettende Dokumente gleiten wie Spielgeld durch die Hände skrupelloser Drahtzieher und korrumpierter Grenzbeamter, Menschen werden wie Schachfiguren verschoben. Undurchsichtige Wolken dringen nicht nur aus Dampflokomotiven und Flugzeugen, Rauchschwaden umnebeln auch die Nasen derer, denen das angstvolle Warten der Transitreisenden zum Geschäft und zum Spiel wird. Dar-el-Beida verdichtet den bedrohlichen Zugriff einer mikroskopischen Macht, die den Flüchtlingen auf Bahnhöfen, in Wartehallen, auf Polizeistationen, Botschaften und Ämtern ständig auflauert. Tim Sharp stellt in einer knappen, doch insistierenden Bearbeitung des Bild- und Tonmaterials aus Curtiz´ Casablanca figurative und akustische Reihen her, in denen das Unbehagen als Subtext der filmischen Erzählung regiert. Die repetitive Gestaltung und stellenweise Dissoziation von Ton und Bild führt kinematographische Figuren der Ohnmacht vor Augen, deren Schlüssel das Hinhören und Gesehen-Werden ist. (Christa Blümlinger)
Während Casablanca sich intensiv mit Männermacht und Männerfreundschaft, mit Rechtschaffenheit und Abenteuer beschäftigt, geht es in Dar-el-Beida um die Gefühle der Flüchtlinge/Außenseiter, die den Hintergrund des Films bevölkern. Um jene, die in einer Atmosphäre der Bedrohung leben, die immer unterwegs sind, aber nirgendwo ankommen, deren Identität beschnitten oder deren Nationalität willkürlich verändert wurde, mit einem Wort, um die Machtlosen. In Dar-el-Beida (so der latinisierte arabische Name für Casablanca) fragt Bogart: Wollen Sie meinen Rat? Seine zynische Antwort (in Casablanca) ist die unausgesprochene Realität von Dar-el-Beida. (Tim Sharp)
Dar-el-Beida
1996
Österreich
2 min 40 sek