Ein drittes Reich aus seinem Abfall

Aus ähnlichem Filmmaterial wie seinen Debutfilm Ein drittes Reich montierte Alfred Kaiser ein Jahr später ein weiteres Kompilationsessay: Ein drittes Reich aus seinem Abfall, ein klassischer Nachfolgefilm, im besten Sinne, der die ästhetischen Überlegungen des ersten Werks in radikaler Weise weiterführt, vollendet. Nach der politisch-ironischen Bilder- und Ideologiekritik des ersten Teils verzichtet der zweite Teil beinahe zur Gänze auf die gesprochene (oder gebrüllte) Parole und auf "eindeutige" Montagen: die Ambivalenz des verwendeten "Found Footage" wird in der Kombination mit zeitgenössischen Schlagern bis ans Äußerste getrieben. Ein drittes Reich aus seinem Abfall: ein höchst intimer, musikalischer Reigen, der von Alfred Kaiser selbst mit der Auflage versehen wurde, ihn nur im Rahmen "privater Cirkel" oder in unmittelbarer Folge zu Ein drittes Reich vorzuführen.

(Constantin Wulff)


Inhaltlich kommt in Ein drittes Reich aus seinem Abfall - mit den Aufnahmen von Deportationen - ausdrücklich der Holocaust und damit die Problematik von Opfer und Täter zur Untergangsdynamik hinzu, auf die Ein drittes Reich hauptsächlich abgezielt hatte. Wieder lassen sich vorsichtig drei Teile unterscheiden. Auf eine Exposition zur Schlagermusik von "Am Abend auf der Heide" folgt eine längere Periode, in der Kaiser zur Musik eines Salonorchesters zahlreiche unwirkliche, meist im Gegenlicht gefilmte, fast traumähnliche Szenen von Ringelspielen und Ruderbooten, von sommerlichen Spielen in freier Natur montiert. Die Musik gibt hier die düstere Grundstimmung vor.
Dann kommt mit einem abrupten Schnitt auf der Tonspur das Deportationsmotiv zurück, allerdings in einer doppelten Form: Während auf den Bildern wieder die Waggons (man ergänzt aus historischem Wissen: in die Vernichtungslager) fahren, flüchtet die Schlagerwelt aus der Gegenwart nach Paris (und verdichtet damit eine eskapistische Bewegung des zeitgenössischen Spielfilms) oder gleich auf die Fidschi-Inseln als radikalster denkbarer Ausstieg aus der Gegenwart. Aber immer deutlicher häufen sich die Indizien, in denen die damals populäre Kultur stellvertretend eine passive Libido feiert, was Kaiser auf den Punkt bringt, wenn er zum Schlager "Nimm mich so, wie ich bin" den "Führer" ins Bild bringt. Die Revuetänzerinnen, die für die Reichsprominenz ihre grotesk anmutenden Verrenkungen veranstalten, bestätigen in Kaisers Film das berühmte Diktum Karsten Wittes von der "Revue als montierte Handlung", hier die deutschen Unterwerfungsphantasien, aus denen Täterprofile wie Höss und Eichmann stammen.
Ein drittes Reich aus seinem Abfall ist viel mehr als eine Variation zum ersten Film. Kaiser erweist sich darin als Moderner des Kinos, seine Methode findet zwischen Avantgarde- und Dokumentarfilm souverän zu sich selbst (den metaphorischen Schnittmustern, wie sie Peter Kubelka in Unsere Afrikareise erprobt hatte, verwandt). Zugleich deutet er damit Filmgeschichte als einen offenen Text an, der zu immer neuen Aufschlüssen montiert werden kann.

(Bert Rebhandl)

Orig. Titel
Ein drittes Reich aus seinem Abfall
Jahr
1976 - 1977
Land
Österreich
Länge
25 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Credits
Regie
Alfred Kaiser
Drehbuch
Alfred Kaiser
Schnitt
Reinhold Kaiser
Verfügbare Formate
16 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Farbformat
s/w
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)