Picture Perfect Pyramid
Vösendorf ist eine reiche Gemeinde im Süden Wiens. Dort wurde im Jahre 1983 eine weithin sichtbare Pyramide aus Plexiglas als Erweiterung der bis dato größten Shopping Mall Österreichs, der Shopping City Süd, erbaut. Damals ein Indoor-Swimming Pool namens „Eldorado“, dient sie heute als Hotel- und Veranstaltungszentrum, das Erotikmessen, Technoparties wie auch Parteiversammlungen beherbergt.
Diese Pyramide steht buchstäblich im Zentrum von Johann Lurfs ironisch betiteltem 16mm Film Picture Perfect Pyramid, der sie in 24 Einstellungen im 24 Stunden-Ablauf zeigt. Lurf koppelt die Struktur des Films an die geometrische Figur der Pyramide und macht sie zum Mittelpunkt eines radial von ihr ausgehenden Liniennetzes, anhand dessen er sich dem Bauwerk annähert, es beobachtet. Die konzeptuelle Strenge von Kameraperspektive und Schnitt kontrastiert dabei mit der mystischen Dimension der Pyramidenform: diente sie doch im alten Ägypten gleichermaßen als Begräbnisstätte wie als Himmelstreppe der Verstorbenen zum Sonnengott Ra, während in neuerer Zeit vor allem ihr energetisches Potential im Mittelpunkt diverser esoterischer Untersuchungen steht.
Durch ihre Position – majestätisch, rätselhaft, im Zentrum thronend – scheint die Pyramide wie Jeremy Benthams Panoptikum selbst zu beobachten, und ihr hell erleuchteter Kubus an der Spitze sendet zuweilen ebenso als Botschaften dechiffrierbare Strahlen aus. Daneben fungiert aber die Umgebung an der Peripherie Wiens als unbestrittene zweite Hauptdarstellerin: Parkplätze, Containergebäude, leicht verwahrloste Parklandschaften und immer wieder Autoverkehr. Das US-amerikanische Suburbia und seine Shopping Mall-Agglomerationen sind kaum zu leugnen, obwohl Vösendorf meilenweit von dessen perfekten Rastern entfernt liegt. Nichtsdestotrotz oder genau deswegen wird diese „bildschöne“ Pyramide zur Filmkulisse und damit zum Sehnsuchtsort. Sie ist gleichermaßen exotischer Blickfang, Abklatsch der jüngeren, doch imposanteren Glaspyramide des Luxor Hotels in Las Vegas, und Marker eines sich immer rascher weiterentwickelnden Konsumerismus, der Kaufkraft vom Stadtzentrum in die Peripherie abziehen soll und dadurch mit immer neuen Attraktionen aufwarten muss.
Von alldem lässt sich die stoische Pyramide jedoch nicht beeindrucken: Sie hat schließlich einen weiten Weg vom Weltwunder zur „architectural folly“ hinter sich.
(Claudia Slanar)
Die Shopping City Süd und das Gelände drum herum kann man gut und gern als Inbegriff eines Wiener "sprawls" begreifen. So nennt man in der ganzen Welt das wuchernde Umland von Städten, in denen zwischen Einkaufszentren, Gewerbestätten und Verkehrsknoten kaum noch Landschaft bleibt. Es fällt schwer, hier mit Architektur auf sich aufmerksam zu machen. Es sei denn, man baut eine "Picture Perfect Pyramid".
So nennt der Filmemacher Johann Lurf das Gebäude in Sichtweite der SCS, das ein Hotel, ein Tagungszentrum und eine Wellnesslandschaft enthält. Eine Pyramide, wie für Fotos gemacht. So erscheint sie auch in seinem gleichnamigen Film aus dem Jahr 2013, einer fünf Minuten langen Umkreisung dieses "Landmark"-Gebäudes, das hier manchmal wie ein gelandetes Raumschiff wirkt, ein Fremdkörper in einer Landschaft, die durch die Pyramide insgesamt verfremdet wird.
(Bert Rebhandl, In: Der Standard, 7.11.2014)
Eine Ortserkundung: In gegenläufigen Spiralen umkreist Johann Lurf die Pyramide Vösendorf, ein ehemaliges Erlebnisbad und nunmehriges Eventzentrum unweit von Wien. Fokussiert auf den architektonischen Fremdkörper, vermisst Lurf die umliegende vorurbane Brache in gewohnt strenger formaler Stringenz: 24 Positionen, aufgenommen einmal pro Stunde, verteilt über einen ganzen Tag. Wenn es Nacht wird über deiner Stadt …
(Katalogtext Diagonale 2014)
Mit viel Geduld und einer 16mm-Kamera gelingt es Lurf, diesen Ort als magische Randerscheinung einer entzauberten Industriezone zu zeigen. Im Schneegestöber leuchtet die Pyramide wie ein fremdartiger Kristall (…) Dass Picture Perfect Pyramid auch eine strenge Versuchsanordnung ist, kann man zur Kenntnis nehmen – muss es aber nicht wissen, um seine elegische Schönheit zu lieben.
(Maya McKechneay, orf.at)
Interview mit Johann Lurf: „Mit Film zu arbeiten, ist eine Gefühlsentscheidung“, von Patrick Holzapfel, Jugend ohne Film, 29.03.2014 (Interview)
Hallo Johann, erst mal eine Standardfrage zum Warmwerden: Wie kommt man auf die Idee eine Pyramide in Vösendorf zu filmen?
Zunächst finde ich jeden Grund legitim, um die Gegenwart zu filmen. Die äußere Form dieser Pyramide hat mich fasziniert. Das ist ja ein Gebäude, das unseren Blick lenken soll. Die Pyramide ist ein Eventzentrum und wird für viele verschiedene mehr oder weniger fragwürdige Ereignisse hergenommen. Ich wollte das im Zentrum des Bildes oder besser als hauptbestimmendes Objekt. Also war das Gebäude wie ein Dreh- und Angelpunkt, um sich dann daran und außen herum zu orientieren.
Besonders fasziniert daran fand ich dieses Wechselspiel aus Banalität und Besonderheit, die sich dadurch ergibt. Irgendwie ist diese Pyramide ja in jeder Einstellung und wird damit ziemlich banal, aber irgendwie suche ich auch immer danach und der Blick deiner Kamera folgt ihr gewissermaßen. Wie war das für dich?
Das ist eh schon gut gesagt. Diese Pyramide funktioniert wie gesagt als ein Gebäude, das Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aber es ist ein sehr komplexes Gebäude. Es verändert sich stets im Lauf eines Tages, immer im Verhältnis zum Licht. Durch die Farb- und Lichtwechsel sticht die Pyramide gleichzeitig heraus und passt sich der Umgebung an. Das ist paradox. Diese Pyramide ist ein Ultrabrand, wenn man so will, sie ist ein Zeichen für den Kommerzstandort. Das Banale zeigt sich in mehreren Sachen. Zum Beispiel auf der Spitze ist einfach ein Schild, auf dem steht: Pyramide. Und dann gibt es natürlich noch die Veranstaltungen, die innen stattfinden. Diese Pyramide ist ein absolut komplexes Gebäude. In diesem Wechselspiel zwischen Einfachheit und dieser erzwungen Besonderheit liegt auch der Witz. Da will ja jemand um jeden Preis besonders sein.
Würdest du sagen, dass so ein Film und deine Filme allgemein politisch sind?
Ich hoffe, meine Filme haben etwas mit Heute zu tun. Das ist nicht zwingend politisch. Aber das Heute ist immer politisch. Bei „Picture Perfect Pyramid“ habe ich auch einen sehr dokumentarischen Ansatz gewählt. So wenig habe ich kameratechnisch noch nie verändert. Das sind einfach nur Beobachtungen.
Was bedeutet für dich Wiederholung? Ich fand bei diesem Film sehr interessant, dass du auf der einen Seite immer wiederholst, weil es ja in jeder der 24 Einstellungen um die Pyramide geht, aber gleichzeitig ständig veränderst, weil keine Einstellung der nächsten gleicht.
Für mich ist das keine Wiederholung, sondern Varianz. Man ist nicht in der Lage Unterschiede zu erkennen und deshalb ist es so spannend das zu filmen. Da passiert etwas im Lauf des Tages. Wiederkehrende Einstellungen oder der wiederholte Blick auf ein Objekt ermöglicht mehr Interaktion von Seiten des Zusehers. Das schärft die Sinne, wenn man ähnliche Einstellungen nochmal zeigt. Das Neue blitz immer auf eine andere Art auf. So verschwimmen beispielsweise die Kanten der Pyramide in der letzten Einstellung.
Wie war dein Gefühl mit der Kamera im Verhältnis zur Pyramide? Hast du dich so gefühlt als würdest du die Pyramide vergewaltigen oder hast du dich eher zärtlich genähert?
Ich schätze die Pyramide. Man muss fasziniert sein, um eine künstlerische Arbeit machen zu können. Aber es ist ein ambivalentes Gefühl. Das finde ich auch wichtig. Ich bin kein Fan dieser Pyramide, aber ich will auch nicht, dass sie abgerissen wird. Ich fühle mich von der Konstruktion und ihrer Faszination ertappt. Wie gehe ich damit um? Das hat mich interessiert. Ich glaube, dass Landschafts- und Architekturfilme immer einen Vergewaltigungsimpetus haben, weil diese Objekte ja nicht weglaufen können.
Der Film war auch im Rahmen einer Installation zu sehen. Wo ist für dich da der Unterschied und gibt es diesen überhaupt?
Da ist auf jeden Fall ein Unterschied. Ich sollte dazu sagen, dass der Film im Installationsrahmen entstanden ist, aber immer mit dem Kino im Hinterkopf. Der Film sollte als Loop funktionieren und das hat natürlich Form und Struktur maßgeblich beeinflusst. Im Kino geht es dagegen, um diesen besonderen Moment in den fünf Minuten. In diesen fünf Minuten muss man alles sehen. Als Installation kannst du es eher studieren und analysieren. Dafür gibt es im Kino eine größere Aufregung, ein Excitement. Das ist im Ausstellungsraum komplett anders. Da wiederholt sich alles und es herrscht eine ganz andere Stimmung.
Wie stehst du dazu, dass sich in den letzten Jahren Bildende Kunst und Kino immer mehr annähern?
Ich finde diese Vermischung absolut gut. Das Ausschließen von bestimmten Bereichen bringt nichts. Filme werden immer gemacht, um gesehen zu werden und es gibt dann unterschiedliche Reflektionen darauf. Für mich selbst hängt das vom jeweiligen Projekt ab. Ich denke das schon im Vorfeld mit. Aber wenn es möglich ist, darf das gerne in beiden Feldern gesehen und reflektiert werden.
Gab es für dich mal die Idee in der Entwicklung die Pyramide von innen zu zeigen oder einen POV der Pyramide einzubauen?
Nein. Mich hat das Außen fasziniert.
Hast du irgendwelche besonderen Einflüsse in deiner Arbeit?
Ich lasse mich da nicht so gerne festlegen. Aber ja, ich komme aus Wien und da gibt es eine gewisse Sozialisierung. Einflüsse sind für mich immer die Vermischung verschiedener Faktoren. Das kann man nicht so einfach sagen.
Du arbeitest gerne mit Reduktionen. In diesem Fall 24 Einstellungen und in jeder ist die Pyramide zu sehen und die Kamera ist dabei immer auf der Linie einer Kante. Ist das so einfacher für dich?
Ja das macht es einfach. So bleibt man nicht auf einem Materialberg sitzen. So eine Arbeit sollte einfach sein, damit man sich auf das Wesentliche konzentriert. Es ist so aufgebaut, dass man immer auf eine Kante schaut, die Kamera als Verlängerung der Seitenkante der Pyramide. Ich bin dafür von einer Zeichnung ausgegangen und dann wusste ich auf welchen Positionen ich sein konnte.
Ich fand sehr spannend, als du im Publikumsgespräch gesagt hast, dass es für dich selbstverständlich ist auf Film zu drehen. Vielleicht kannst du dazu etwas sagen?
Es ist doch schön, dass wir heute alle Möglichkeiten haben. Wir können digital oder analog drehen. Das wird natürlich immer schwieriger. Mit Film zu arbeiten ist eine Gefühlsentscheidung. Da geht es um Wärme und Plastizität. Ich verstehe Film und Video als Geschwister. Sie haben ganz ähnliche Grundgedanken, aber können sich nicht ersetzen.
Woher bekommst du denn heute dann dein Filmmaterial?
Das ist projektabhängig. Hängt vor allem daran, ob es Geld gibt oder nicht. Man muss es immer so weit probieren, wie man kann. Das geht mal einfacher und mal schwerer.
Trotz all dieser formellen, architektonischen Strenge wohnt deinem Film auch etwas Mystisches, ja Traumartiges bei. Siehst du das auch so?
Da ist natürlich auch die Perspektive wichtig. Mit Einstellungen lenkt man die Aufmerksamkeit und wenn man dann etwas zeigt und nicht sagt, was es ist, dann entstehen Zwischenräume, weil die Leute dann selbst denken müssen. Ich will auch nicht 24mal Pyramide sagen.
Interview mit Johann Lurf: „Mit Film zu arbeiten, ist eine Gefühlsentscheidung“, von Patrick Holzapfel, Jugend ohne Film, 29.03.2014
Picture Perfect Pyramid
2013
Österreich
5 min