ROTE ERDE WEISSER SCHNEE
"Es gibt nichts Seltsameres in einem fremden Land als Fremde, die es besuchen kommen", vernehmen wir die Off-Stimme der Filmemacherin in Nkwumeatu im Südosten Nigerias. Christine Moderbachers buchstäblich "ungläubiger Blick" lotet in Anlehnung an Chinua Achebes 1958 erschienenen Roman Alles zerfällt den Entwurf von "wirklichen" Beziehungen und ihren Bezugspunkten zu roter Erde und weißem Schnee in ihrer Gegenwart aus.
Der Traktor, Sinnbild technischen Fortschritts und zugleich Bindeglied der langjährigen Österreich-Nigeria-Patenschaft, will nicht in Gang kommen, wodurch gutgemeinte Pläne zur mechanischen Unterstützung der Ernte in ungreifbare Ferne rücken. Zeitgleich hallen mehrfache Abhängigkeitsverhältnisse wider: Eine gemeinsame Reise zum Heimatort des katholischen Pfarrers Sabinus ruft die seit Kindheitstagen schlummernden Erinnerungsbilder der männlich konnotierten Urgewalt namens Gott wach. Papas jeden Tag lauter surrende VH8-Kamera fängt dieses spukende Unbehagen ein, während Gedanken allein im Off einen Fluchtort wittern. Nach zwei langen Wochen ist der Mais angebaut, und nicht nur Papas Traktor wird eingepackt: vertraut knirschender heimatlicher Schnee deckt Erlebtes zu und unaufdringlich eindringliche Briefbotschaften: "Please can you take us to your country? Yes? No? Please!", verhallen auf der durch den aufgebrochenen Ton rot schimmernden Erde.
In einer zutiefst persönlichen ethnographischen Auseinandersetzung und unter Verwendung von geschichtsträchtigem Archivmaterial des Biafra-Krieges konfrontiert der Film mit (post-)kolonialer und christlicher Vorherrschaft. Westlich-humanitäre Modernitätsbestrebungen treffen auf vorhandene Sehnsüchte in Kinderköpfen, die aufgrund bestehender Ungleichheitsverhältnisse vermutlich als nichtgelebte Zukunft verstummen. (Doris Posch)
Jury Statement ViZANTROP FESTIVAL 2019, Belgrade (Preis (Auszeichnung))
ROTE ERDE WEISSER SCHNEE
2018
Österreich
71 min
Dokumentarfilm
Deutsch, Englisch
Englisch