Lampedusa
Two people return to the Mediterranean island of Lampedusa. Giulia overcame a personal crisis here, Zakaria fled here from the civil war in his homeland of Somalia. Schreiner tells about them, about innermost thoughts, existential questions and fears, about transiency: A search for meaning that remains fragmentary, moving between memory and now. The past presses into the monologues and conversations in the present of the cinematic image. It has written itself visibly into the skin, faces, and bodies that Schreiner explores in close ups, which become practically perceptible, yet nonetheless remain highly artificial.
The strict, sensual beauty of these images, the play with abstraction of brilliant black-and-white, of light and shadow, the long, calm takes, the concentration on details all create the space for an intuitive, concentrated awareness, a space of encounter. The site of this encounter is concrete, but for the characters, the sparse, brittle landscape of Lampedusa turns into a stage of sorts, and a projection; an abstract space. Just as this island exists as a mere idea for most of us, as a place where political action becomes manifest, and also a crisis—the relationship of old Europe and young Africa, the dynamics of resistance and mesmerized attraction, of inside and outside.
Schreiner drafts Lampedusa as a universal, internal narrative, as intense space of experience and association, oscillating between documentary and fictional elements. Freed of the necessity to explain, the film itself becomes a search and interrogation—of the characters, cinematic form, and our own present realities.
(Barbara Pichler)
Reflektion der Realität
Im Zentrum des Films befindet sich eine ältere Frau, deren körperlicher Verfall sich praktisch in jedes Bild von Schreiner drückt. Sie lebt bei einem Bootsbauer und seiner Frau und wird von diesen gepflegt. Statt einer klassischen Narration wählt Schreiner ein Vorgehen, das man als poetische Bilderassoziation bezeichnen könnte. So wiederholen sich verschiedene Bilder wie eine Aufnahme der verkrüppelten Hand der Frau unter Wasser. Bilder erzählen hier mehr über das Innenleben als über äußere Bewegungen. Es ist eine Erinnerung an das Leben und ein Versuch dieses zu feiern. Wunderbar sind immer jene Szenen, in denen sich die leidende Frau unter lebendigen und fröhlichen Menschen befindet wie ein kleiner Schatten einer Existenz und doch spürt man noch ein Feuer in ihr.
Ihre Sinnsuche wird zumindest ein wenig erfüllt als sie auf Zakaria trifft, einen Flüchtling aus Somalia, der fließend italienisch spricht. Seine Erzählungen wirken dokumentarisch und die Mischformen mit denen hier gearbeitet wird, erinnern durchaus an manches Werk von Straub-Huillet, wobei das elegische Treiben von Lampedusa doch eher auf Béla Tarr verweist. Trauma, Traum, Erinnerung, Hoffnung und Erfahrung verschmelzen hier zu Fragen, die zwar durch die politischen Hintergründe des Ortes und der Einzelschicksale initiiert werden, aber letztlich universell sind. Zakaria bekommt, ob real oder nicht, die Möglichkeit sich öffentlich hörbar zu machen, er wird eine Stimme für die vielen Leidenden in Lampedusa. Durch das Aufeinandertreffen zweier und mehrerer Welten entstehen große Fragen, die durch eine ethische und demokratische Form der Darstellung in ihrem Kern getroffen wird. Die Wahrheit, so scheint es, ist bei Schreiner eine Frage der großen Zusammenhänge und des Unerklärlichen.
In diesem Sinn ist Lampedusa ein Film, in dem Philosophie und innere Emotionen immer wichtiger sind als äußere Handlungen. Wir sehen abstrakte Bewegungen im echten Licht, auf realen Gesichtern. Der Existentialismus ist hier schon lange eine Idee und keine Notwendigkeit mehr. Statt dem Kartoffelschälen bei Béla Tarr gibt es eine Selbstbetrachtung im Spiegel. Fast nie sieht man eine Person einen Weg gehen. Wenn, dann geschieht dies in derart brillant fotografierten Einstellungen, dass sich die kinematographische Schönheit über den zurückgelegten Weg legt. Dem Film fehlt jegliches Gefühl für Banalität und Alltäglichkeit, aus der diese großen Fragen womöglich erst entstehen können. Stattdessen warten die Figuren meist in großartigen Einstellungen auf ihre Bedeutung. Es wird ein abstrakter Raum. Schreiner ist nicht bereit durch die Realität zu gehen, um etwas über sie herauszufinden. Stattdessen verharrt er auf der Reflektion dieser Realität.
Er macht das allerdings äußerst zärtlich und behutsam mit einem außergewöhnlichen Gespür für Körper und Landschaften. Das Resultat ist ein konzentrierter Sog, der durchaus rar ist im österreichischen Kino, weil er sich eben nicht souverän und ironisch über die großen Fragen der Menschheit stellt, sondern sich mitten hinein wagt. So entsteht eine faszinierende Spannung zwischen Gegenwart und Ewigkeit hinein in die Tiefe der Menschen und auf keinen Fall wieder hinaus.
(Patrick Holzapfel. http://www.kino-zeit.de/filme/lampedusa)
Lampedusa
2015
Austria
130 min