Im Anfang war der Blick
Die Kamera gibt sich als blinzelndes Auge aus und lugt ins Arbeitszimmer eines Dichters. Dort stapeln sich Bücher bis zum Plafond, und der Poet bewegt sich, flink wie ein Wiesel, zwischen Schreibmaschinen und Regalen, blättert in Büchern oder tritt wie Alice durch einen Spiegel. Bodo Hell gibt eine ruhelose Figur des Wortes, die eine Reise in die Bilder - oder auch hinter die Bilder - antritt.
Zeichnet sich bereits der Beginn durch seinen artifiziellen Blick aus, so agiert der Film im Mittelteil technisch noch elaborierter: Eine rhythmische Montage läßt unzählige Postkartenmotive auf den Betrachter einstürzen, die der Protagonist dann wie reale Szenerien als Wanderer betritt.
(Dominik Kamalzadeh, Der Standard, Wien)
Bady Minck unterzieht profane Bildwelten einer Neubewertung: viele tausend Postkarten sind es, deren glühend verkitschtes Österreich die Avantgardefilmerin gewissermaßen zurück-animiert. In ihrer Filmerzählung bietet die Bildersuche eines Dichters den Rahmen für eine kritische Rückeroberung der alpinen Landschaftsidyllen. In atemberaubenden Montagen und aufwendiger Filmtechnik dringt Bady Minck tief in die schwüle Farbigkeit der Postkarten ein, ohne je ihrem campigen Reiz zu erliegen.
(Daniel Kothenschulte, Frankfurter Rundschau)
Das Rennen Wort gegen Bild geht bei Minck klar für das Bild aus: Einzelbildaufnahmen, Überblendungen und die Sprache, die als musikalisches Element einer rasanten Wort-Bild-Komposition eingesetzt wird, verbinden sich zu einem Stück Kino, das Erwartungen und Gewohnheiten gegen den Strich bürstet. Im Anfang war der Blick ist ein Film über das Erzählen und Erinnern, über die Flüchtigkeit der Sprache und der Bilder, über die Tricks, die uns die sinnliche Wahrnehmung spielt - eine philosophische Überlegung über Abbild und Wirklichkeit, Identität, Natur und Zivilisation.
(Irmgard Schmidmaier, d´Land, Luxembourg)
Ein Dichter in seiner Klause, umgeben von Büchern und Zetteln, ausgeliefert den Worten. Auf den leeren Seiten eines Buches entsteht eine Gebirgsformation, die den Poeten und uns eine Reise durch Landschaften antreten lässt; Landschaften, deren Geschichte sich als bizarres Gebilde aus zahllosen ineinander geblendeten Postkartenansichten offenbart. Bodo Hell, der Blickreisende, wird selbst Teil dieser Raumkomposition, zum Postkarten-Motiv und damit zum Gegenstand des Blicks des Publikums, den Bady Minck virtuos durch die künstliche «Natürlichkeit» österreichischer Landschafts-Arrangements navigiert. Am Ende der Reise bleibt der Dichter als sein eigenes (fotografisches) Abbild zurück: zweidimensional und hilflos einer Natur ausgeliefert, die sich ihm als Ansichtssache radikal entzieht.
(Robert Buchschwenter)
Im Anfang war der Blick erschafft eine Bewegungstypologie, die aus dem Herzen des Kinos selbst spricht: Mehrfachbelichtungen, Einzelbildtechnik, Zeitraffer und Zeitlupe haben sich einer anomischen Darstellung verschrieben, die absolut konträr zu standardisierten Erwartungen und Sehgewohnheiten funktioniert. Bodo Hell setzt als eine Art deus ex cathedra, als hintergründiger Geist, die Dinge aus seinen Büchern und Texten heraus in Gang, er beseelt sie, wird zum Demiurgen einer Reise in ungewohnte Topografien. Bady Minck verfolgt die quasi-auratische Inszenierung von Landschaft und Stadt, lässt tausende Ansichtskarten in einem Rhythmus tanzen, der dechiffrierend und erheiternd zugleich ist. Aus der Starrheit der Postkarten-Motive heraus praktiziert der Film eine Revitalisierung, eine Re-Animation, die Dinge und Menschen mit Leben erfüllt. Die Gegenwart wird in die Karten eingespielt; raffinierte Überblendungen wirken als Verschiebungen dessen, was als real und was als «spectre» gilt. Die Erzählung von Bewegung und Veränderung erweitert sich in eine neue Richtung zu einem komplexen zauberhafter uvre zwischen Archäologie und Hedonismus.
(Marc Ries)
--> trailer on youtube
--> www.badyminck.com
Im Anfang war der Blick
2003
Österreich, Luxembourg
45 min