Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater
Der Film erzählt, wie sich das Ringen meines Vaters um das Überleben des vom Großvater gegründeten Betriebs, der nicht zu verhindernde Konkurs seiner Möbelfirma, auf meine Familie ausgewirkt hat.
(Gabriele Mathes)
Normalität in den Siebziger Jahren: Die audiovisuelle Erinnerungswirtschaft mit ihren Kohorten an Privatfilmern produziert massenhaft Bilder des wirtschaftlichen Aufschwungs und des vermeintlichen kleinbürgerlichen Familienglücks: Urlaub am Meer, KFZ-Ausflüge in die Alpen in Dirndl und Krachlederner, zuhause gibt´s jetzt den Einbauschrank mit Farbfernseher. Meistens filmt der Papa. Es hätte doch alles so schön sein können, doch die Sache geht schief: Der vom Großvater geerbte Tischlereibetrieb schreibt rote Zahlen, die Konkurrenz durch Massenproduktion versetzt der Firma den Todesstoß. Die Familie gerät in die Krise, und schließlich wird der Vater unter der Last zusammenbrechen. Die Normalität ist nicht zu ertragen.
Gabriele Mathes´ Found-Footage-Arbeit erzählt nur auf den ersten Blick eine tragisch endende Familiengeschichte. Während eine emotionslose Sprecherin ein biografisch gefärbtes, beklemmendes Sprachbild von hoher fotografischer Präzision entwirft, fassen die Super-8-Bilder ein irreduzibles Außen, das nicht allein in der literarischen Beschreibung subjektiver Erinnerungsbilder aufgeht: Fragmente für eine öffentliche Mikro-Wirtschaftsgeschichte. In der tangentialen Montage kontaminieren Bilder und Sprache einander, Andrea Sodomkas Soundscape treibt uns schmerzhaft leise in den audiovisuellen Riss in der Zeit. Im Unterschied zu so vielen ironisierenden Home-Movie-Samplern nimmt Mathes ihr Material als Symptom ernst. Was zeigt sich, was lässt die Nichtsichtbarkeit erahnen, was ist verloren, was gerettet? Und vielleicht hat sich in den ausgewaschenen, beschädigten Affektbildern etwas erhalten, wohin die Sprache, die Trauerarbeit, nicht gelangen konnte; vielleicht ein Moment des Verdachts, vielleicht ein Moment des Glücks. Doch womöglich ist das Glück an einer Stelle aufgeblitzt, die niemand geplant und mit der niemand gerechnet hatte.
(Michael Palm)
Hinter dem Wald wird es hell. Mein Vater sitzt im Wagen und erinnert sich. Er ist zweiundzwanzig. Er ist mit dem Motorrad gekommen. Er steht vor dem Haus, in dem meine Mutter wohnt. Er raucht eine Zigarette. Er raucht mit der rechten Hand, seine Linke ist in Gips gepackt. Meine Mutter schaut den Gips an und fragt: Kannst du fahren?" Mein Vater dämpft die Zigarette aus. Mein Vater gibt Gas. Er fährt 14 Stunden lang. In Rimini halten sie an. Am Straßenrand stehen Palmen. Meine Mutter legt ihre Arme um meinen Vater und küsst ihn.
(Auszug aus dem Drehbuch)
Diagonale Preis Innovatives Kino 2006 - Jury-Begründung (Preis (Auszeichnung))
Jury:
Sandro Droschl (Curator "Kunstverein Medienturm", AT)
Angela Haardt (Curator for Media Art, DE)
Michael Palm (Filmmaker, Filmtheorist, AT)
Jury statement / CPH:DOX 06, Int. Documentary Film Festival Copenhagen (Preis (Auszeichnung))
Christian Cargnelli, Falter / Wien (Kritik)
un million de dettes cŽest normal, dit mon grand-père (texte français)
La normalité dans les années soixante-dix : lindustrie audiovisuelle du souvenir, avec ses cohortes de cinéastes amateurs, produit à la pelle des images du boom économique et dun supposé bonheur familial petit-bourgeois vacances à la mer, excursions motorisées dans les Alpes en robe folklorique et culotte de cuir, à la maison on a une armoire encastrée avec téléviseur couleur... En général, cest papa qui filme. Ça aurait pu être si bien, mais il y a un hic : la menuiserie héritée du grand-père senfonce dans le rouge, la concurrence et sa production de masse donnent le coup de grâce à lentreprise. La famille plonge dans la crise jusquà ce que le père finisse par ployer sous le fardeau. La normalité nest pas supportable.
Le film de found footage de Gabriele Mathes nest quà première vue une histoire de famille qui finit mal. Tandis quune voix féminine esquisse un tableau angoissant, à tonalité biographique et dune grande précision photographique, les images en super 8 captent un extérieur implacable qui fait sens au-delà même de la description littéraire des souvenirs subjectifs : fragments pour une micro-histoire publique de léconomie. Dans le montage tangentiel, images et langage se contaminent mutuellement, les tableaux sonores dAndrea Sodomka nous emportent en un douloureux pianissimo dans la fissure audiovisuelle du temps. A la différence de tant de collages de home-movies volontiers railleurs, Mathes prend son matériau très au sérieux dans sa portée symptomatique. Quest-ce qui se révèle, que la non-visibilité permet de déviner, qui se perd, qui est sauvegardé ? Et peut-être les images délavées, abîmées ont-elles conservé quelque chose que le langage, le travail du deuil ne pouvaient atteindre ; peut-être un moment de soupçon, peut-être un moment de bonheur. A moins que le bonheur nétincelle furtivement à un endroit que personne navait prévu, que personne nattendait. (Michael Palm)
Traduction: Françoise Guiguet
Eine Million Kredit ist normal, sagt mein Großvater
2006
Österreich
22 min