Schein Sein
Schein Sein spielt mit den Wahrnehmungsebenen von Hören und Sehen, mit der Täuschung von Augen und Ohren wie mit der Spannung zwischen zweidimensionalem Abbild und dreidimensionalem Raumbild.
(Produktions Notiz)
Zu Stimmenraunen, Kritzelgeräuschen, summenden Klangfetzen kurvt die Kamera über eine Materialansammlung, wie sie auf einen Schreibtisch im Schaffensrausch zu gehören scheint. Noten und Notizen, Hefte und Bleistifte, Muster aller Art auf und zwischen Zetteln, nicht geleerte Martinigläser, gefüllte Aschenbecher, Totenköpfe - und da steht auch schon (samt Kaffeetasse!) die Einstellung kopf und eine Ensembleanordnung nach Musikinstrumenten auf dem Papier. Ständig Bewegung, Verwandlung, Variation und wohlige Ungewissheit: Ein Konzertsaal? Ein Kino?
Das Rechteck des Bilds bleibt zurück, wird im Zug der Fahrt sogleich ein helles Rechteck im Bild: Leinwand mit Ensemble als Leinwand vorm Ensemble, das auf einmal nur mehr der Schattenwurf seiner selbst ist. Madame Press ist tot. Die Imagination lebt. So scheint es jedenfalls zu sein.
(Christoph Huber)
Eine Meditation über Seinsgewissheiten und Wahrnehmungsillusionen, eine kreisende Suchbewegung in Raum und Zeit und gleichzeitig ein Trompe l´Oeil; Morton Feldmans entdramatisierte, scheinbar aus der Zeit gefallene Musik wird im Film in ihren räumlichen Dimensionen beim Wort genommen: Die Aufstellungsskizze des Ensembles, das gleich Feldmans Komposition zur Aufführung bringen wird, füllt sich mit "realen" Musikern, die in der Zweidimensionalität des Papiers gefangen sind, um dann in die Spatialität des Wiener Konzerthauses gekippt zu werden. Aber was ist hier echt, was visuelle Fälschung? Schein Sein tanzt auf dieser Plattform der Ambivalenzen und stellt der Metaphysik des festen existentiellen Grundes den agnostischen Skeptizismus einer von der visuellen Chimäre markierten Seinsverlassenheit entgegen.
Gottloser Feldman, gnadenloser Abgrund! Was wir sehen, blickt uns an.
(Thomas Miessgang)
Mit den Augen hören, mit den Ohren sehen. – Auf der diesjährigen Berlinale war die luxemburgische Filmemacherin und Künstlerin Bady Minck mit dem 8-minütigen Kurzfilm Schein Sein vertreten. Die österreichisch-luxemburgische Koproduktion lief in der Sektion Forum des Filmfestivals und „spielt mit den Wahrnehmungsebenen von Hören und Sehen, mit der Täuschung von Augen und Ohren sowie mit der Spannung zwischen zweidimensionalem Abbild und dreidimensionalem Raumbild“
(Journal Berlinale)
In Bady Mincks Film Schein Sein ist der Ansatz kein analytischer – das Stück „Madame Press Died Last Week at Ninety“ von Morton Feldman steht eher für meditative Musik. Die Filmemacherin verändert unmerklich die Kulisse, von einer Aufstellungsskizze zum realen Ensemble, vom Spielen in einem leeren Saal zu einem gut besuchten Konzert. Die Musik zieht derweil ihre eigenen Bahnen – losgelöst vom realen Umfeld.
(Raymond Klein, Woxx, Luxembourg)
"Être paraître" / texte français
Sur un fond sonore de chuchotements, de grattements et de bribes de rumeurs bourdonnantes, la caméra survole une multitude dobjets que la passion créatrice semble avoir accumulés sur un bureau. Notes et mémentos, cahiers et crayons, échantillons de toutes sortes éparpillés parmi les feuilles volantes, verres de Martini entamés, cendriers débordants, têtes de mort et puis, sur une subite inversion de plan (incluant une tasse de café !), une feuille représentant la distribution des instruments dans un ensemble musical. Mouvement incessant, métamorphose, variations et bienfaisante incertitude : une salle de concert, un cinéma ?
Le rectangle de limage sestompe pour finir par nêtre plus, tout au long du travelling, quun rectangle lumineux dans limage : lécran, avec son ensemble, se fait écran devant lensemble, et ce dernier nest soudain plus que lombre de lui-même. Madame Press est morte. Limagination est bien vivante. Cest tout au moins ce quon pourrait croire. (Christoph Huber)
Méditation sur la certitude de lexistence et les illusions perceptives, mouvement de quête circulaire à travers lespace et le temps tout autant que trompe-lil, ce film prend au mot dans sa dimension spatiale la musique de Morton Feldman, dédramatisée et apparemment placée hors du temps : lesquisse représentant lensemble qui sapprête à interpréter la composition de Feldman semplit maintenant de musiciens « réels », tout dabord prisonniers de la bidimensionnalité du papier pour être par la suite basculés dans la spatialité du Konzerthaus de Vienne. Mais quelle est ici la part de vérité, la part de falsification visuelle ? Être paraître joue sur cette scène des ambivalences en opposant à la métaphysique dune solide assise existentielle le scepticisme agnostique dun abandon de lêtre marqué au coin de la chimère visuelle.
Feldman le mécréant, abîme sans pitié ! Ce que nous voyons porte le regard sur nous. (Thomas Miessgang)
Traduction: Claude Manach
Schein Sein
2008
Österreich, Luxembourg
8 min 10 sek