Flexible Cities

"Lux Aeterna", György Ligetis sphärische Komposition für Solostimmen, bekannt als Filmmusik in Kubricks futuristischem Epos 2001: Odyssee im Weltraum (1968), löst Sprache in räumliche Klangfelder auf. Diese Klangcluster schweben in Flexible Cities über algorithmischen Städten, die sie in Echtzeit generieren: Die Stadträume entwickeln sich prozessual unter Verwendung neuer digitaler Visualisierungstechniken. Darstellungsformen wie Mehrperspektivenprojektionen, Vogelperspektiven und Schichtröntgen überlagern einander bisweilen.

Die fließenden, von Lichtpunkten illuminierten Kartographien verändern sich wie die schwebenden Stadträume autogenerativ. Die Struktur dieser künstlichen Städte wird bestimmt von der Datendichte und deren Zufallsverteilungen, die einen permanenten Transformationsprozess der städtischen Strukturen bewirken. Es entstehen mutative Partikel- und Magnetfeldräume, deren Gravitation variiert. Die Matrix der Orientierung für die unsichtbaren BewohnerInnen wird bestimmt von den Veränderungen der schwankenden Datendichte und den Transformationen der Vektoren. Der eigentliche Ort des Subjekts existiert nicht, zumal sich die stets wandelnden Räume einer definitiven Verortung widersetzen.

Das Wesen der Flexible Cities ist die Mehrdeutigkeit ihrer Zeichen, die in unentwegten Neuverkettungen nicht nur alle räumlichen Dimensionen, sondern auch die zeitlichen Parameter erfasst. Die Operationen zur Konfiguration dieser abstrakten Räume interferieren mit den Techniken der Sichtbarmachung urbaner Strukturen derart unmittelbar, dass die Differenz zwischen diesen nicht offensichtlich wird. Die Abstraktheit und nicht-kommensurablen Beziehungen der aufeinanderfolgenden und sich überlagernden Kartographien und Stadträume entziehen sich assoziativen Vergleichen und Metaphern. Flexible Cities erweitern die Stadt in eine Noosphäre, deren Entwicklung unvorhersehbar und prozessual verläuft.

(Nicola Hirner)


Im Multimedia-Projekt Flexible Cities werden vierdimensionale, virtuelle, abstrakte Stadtlandschaften im Computer erzeugt. Drei Dimensionen bilden die x, y, z-Achsen der Räume, die 4. Dimension stellt der Ton dar, welcher die Räume bzw. Stadtlandschaften generiert.

Es findet eine Umkehrung statt. Nicht die Stadt erzeugt Geräusche bzw. Klänge, sondern die Geräusche erzeugen und bebildern die Stadt. Akustische Signale werden in ihren Frequenzspektren, Dynamiken und Lautstärken analysiert, die extrahierten Daten in Matrizen eingelesen, aus welchen nach komplexen mathematischen Operationen dreidimensionale Objekte generiert werden. Diese Objekte können in weiterer Folge multipliziert, deformiert, skaliert, rotiert und in ihren Positionen dynamisch verändert werden. Simultan werden die akustischen Signale als zweidimensionale Bilder dargestellt, welche als Texturen für die sich ständig verändernden dreidimensionalen Objekte dienen. Darüber hinaus können errechnete dreidimensionale Objekte durch sogenannte Read-back Verfahren ebenso als Texturen für weitere dreidimensionale Objekte verwendet werden, wodurch unterschiedlichste Projektionsmöglichkeiten möglich werden. Die Bilder können zwar weiterhin nicht die retanguläre Form und die Ausmaße des Bildschirms oder der Leinwand verlassen, in ihnen selbst regieren allerdings vielfältige Projektionen, Perspektiven und Tiefenwirkungen.

Denn die Flexible Cities orientieren sich an neuen Darstellungsformen wie Mehrperspektivenprojektion und Schichtröntgen. Daher sollen gleichzeitig mehrere Perspektiven und viele, transparente, Schichten dargestellt werden. Die künstlichen Stadträume sind Partikelräume, Magnetfeldräume, Räume mit unterschiedlichen Gravitationen, fortlaufend verzerrte und fließende Räume, welche alle eine neue Orientierung, Erschließung und Bewohnung des Raums suggerieren. Die Bewohner der Flexible Cities orientieren sich nicht mehr an hervorstechenden Formen, Achsen, Kanten und klar abgegrenzten Bereichen, sondern an Dichteverteilungen von Daten, Ausrichtungen, Anderungen von Skalierungen und Transformationsvektoren. Die Flexible Cities sind beständigen Veränderungen unterworfen. Grundsätzlich verändern sie sich in Echtzeit und autogenerativ. Zudem wird in das mathematische Grundgerüst der Zufall integriert. Dies geschieht in Form von Zufallsverteilungen der Daten in den Matrixen durch Zufallsgeneratoren und durch weisses Rauschen. Korrekterweise muss in Zusammenhang mit dem Computer als deterministisches System von Pseudozufallszahlen gesprochen werden. Entwürfe als absichtsvolles, zweckgerichtetes Tun werden durch aleatorische Prozesse in Form von ganzen Serien formaler Transformationen ersetzt, aus denen der Programmierer und Künstler nach ästhetischen Kriterien auswählt. Er lässt die Maschine rechnen und ist dabei wachsam genug, die eigenen Zwecke zu erkennen, wenn sie ihm im Fluss der Formen begegnen.

Dem deterministischen Chaos der mathematischen Zufallsgeneratoren und Noise-Funktionen wird das hermetische mathematische Konzept der Superformula gegenübergestellt. Diese vom belgischen Mathematiker Johan Gielis entwickelte Formel basiert auf der Überlegung, dass auffällig viele abstrakte, natürliche und von Menschen geschaffene geometrische Formen durch eine spezifisch erweiterte Formel des Kreises beschreibbar sind. Sie stellt eine komplexe Gleichung für Kreis und Ellipse gleichermaßen dar. Mit den Sounddaten als Parametern beginnt die Maschine gemäß der Formel eine Vielzahl organischer Formen zu errechnen bzw. zu simulieren.
In den Flexible Cities herrschen verschiedene Gravitationszustände, Tektoniken und Lichtverhältnisse. Durch neue Gravitationszustände oder das völlige Fehlen von Gravitation tritt die Tektonik als ästhetischer Ausdruck der Gravitation in den Hintergrund. Ihre Aufgabe ist nunmehr die Sichtbarmachung von Licht in seinen vielfältigen Erscheinungsformen von Licht, Schatten, Schattierungen, Gradienten und Transparenzen. Unterschiedliche Lichtquellen, die in Form und Position wechseln, illuminieren, erzeugen und manipulieren Räume und Sektoren. Mehrere künstliche Sonnen ziehen ihre Bahnen und erhellen eine Dunkelheit, die Strukturen beständig ausspuckt und wieder verschluckt.

Das Projekt gliedert sich in mehrere ineinander übergehende oder verwobene Abschnitte:
Shapes (Kuben, Kegel, Kugeln, Zylinder), Nurbs (Non-uniform Rational B-Splines), Partikelemitter, Supershapes, Flugsimulationen, Lichträume.
Software: OpenGL, GLSL, Max/Msp/Jitter

Binaurale Tonaufnahmen, Akusmatik & Raum

Musik und Geräusche erzeugen Flexible Cities.
Einige Entwürfe sehen Sie als Standbilder in dieser Projektbeschreibung. Als Grundlage dienen dazu zum einen binaurale Tonaufnahmen aus München von urbanen Schnittstellen aus Transport, Bewegung und Kommunikation und zum anderen komponierte Musik. Künstliche Räume entstehen, mit eigenen Zeitverläufen, übergangslos vom komprimierten Microraum bis hin zur reflexionslosen Freifläche, vom Rauschen zum Beat. Es entsteht ein klangliches Wechselspiel identifizierbarer Bezüge realistischer Klänge und abstrakter Morphologien der Apparatewelt.

Damit diese akustischen Konstruktionen für ein Publikum live erfahrbar sind, werden zwei unterschiedliche Tonanlagen verwendet. Lautsprecher mit weit abstrahlender und diffuser Schallausbreitung verorten uns in den Flexible Cities, während sogenannte Narrow-Field-Speaker eine Betrachtung der Entstehung einer Flexible City von außen ermöglicht.
Dieses Multi-Kanal-Tonsystem (6 Kanäle) erlaubt es den Besuchern auch sich frei im Raum zu bewegen, einen eigenen Klangraum zu durchschreiten.

(Wolfgang Dorninger)

Orig. Titel
Flexible Cities
Jahr
2008
Land
Österreich
Länge
7 min 56 sek
Kategorie
Animation/Computeranimation
Orig. Sprache
Kein Dialog
Downloads
Credits
Regie
Didi Bruckmayr
Musik
Györgyi Ligeti
3 D Animation
Didi Bruckmayr
Verfügbare Formate
Betacam SP (Distributionskopie)
Bildformat
4:3
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
s/w
Festivals (Auswahl)
2008
Roma - Abstracta Festival
2009
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Linz - Crossing Europe Film Festival
Melbourne - MIAF International Animation Filmfestival
2014
Reykjavik - Punto y Raya Festival