Pareidolia

"Das Gesicht (…) ein künstliches und politisches Gebilde, das jeder Selbstverständlichkeit, jeder scheinbaren Natürlichkeit zu entkleiden ist" (Ulrich Raulff).

Das Gesicht ist üblicherweise im Film jener Ort, an dem ein Affekt, den der Körper selbst verborgen hält, sichtbar wird. Gleichzeitig fungiert das Gesicht aber auch als Erkennungsmarker - meist reichen kleine Details aus, um das Subjekt, den Träger oder die Trägerin, zu identifizieren. Pareidolia von Maria Petschnig folgt diesen Gedanken allerdings nur, um diese neu zu mischen und zu verschieben. Mit ihrer Titelwahl bezieht sie sich auf ein psychologisches Phänomen, über einen vagen Eindruck ein signifikantes Bild zu formen. In der Alltagswahrnehmung zählt dazu u.a. das Entdecken von Figuren in Wolkenkonstellationen, verschlüsselte Sound-Botschaften durch den umgekehrten Abspielmodus zu dechiffrieren, oder - im religiösen Sinne - Heiligenabbildungen in Objekten zu entschlüsseln. Auch in Petschnigs Video wird der Körper zur eigenen und ferngesteuerten Austragungs- bzw. Spielfläche für Projektionen subjektiver Ideen und Gefühle. Die Künstlerin verweigert dabei allerdings das Zeigen ihres eigenen Gesichts; präsentiert puppenhafte Typologien oder schlichtweg "grinsende Fratzen", stattet ihren Körper liebevoll mit Accessoires aus und stellt (auf und mit diesem) unterschiedliche Gesichter zur Schau. Während sie mit der Verwendung und Darstellung eines fragmentierten weiblichen, halbnackten Körpers einer klassischen sexistischen Repräsentationslogik folgt, widersetzt sie sich gleichzeitig dieser Logik, indem sie den Blick mit ihrem Körper indirekt retourniert und den eigenen Körper als performatives, selbst- und lustbetontes (Handlungs)Feld nutzt. Der Körper mutiert dabei zum Kräftefeld disparater, großteils witziger Darstellungsformen, er dient der Implementierung einer skulpturalen Textur.

Ausgangsbasis des Videos bildete eine Performance namens Belly Faces, die Petschnig in einer leerstehenden Wohnung in New York vor Live-Publikum präsentierte und nachträglich nochmals für die Kamera nachstellte. Das Medium Video verwendet sie dabei nicht zur dokumentarischen Aufzeichnung der Performance (diese dauerte rund 50 Minuten), sondern als eigenständige bzw. erweiterte künstlerische Praxis zur Malerei und Fotografie. Der sorgfältig mehrfach gerahmte, statische Bildausschnitt zeigt eine Hausfront mit einem Fenster. Je nach Ein- und Ausschalten des Lichtes, erhellt sich der zentrale Bildausschnitt und jeweils eine andere Körperskulptur tritt zum Vorschein. Mit diesem einfachen gestalterischen Mittel folgt Petschnig auch den Wahrnehmungsmechanismen der Pareidolia: Pixelierung, bestimmte Lichteinfälle und Schattenspiele lassen bestimmte Gesichter oder Texturen erkennen.

Narrativ geschlossen und gerahmt ist die Arbeit auf tonaler Ebene: Ein vorbeiziehendes Auto öffnet den Blick auf die erste Körperskulptur, das Geräusch eines abziehenden Flitzers schließt das vierminütige Video ab. Der Ton ist noch im Ohr, das Licht schon abgedreht.

(Dietmar Schwärzler)

Orig. Titel
Pareidolia
Jahr
2008
Land
Österreich
Länge
4 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Kein Dialog
Downloads
Pareidolia (Bild)
Pareidolia (Bild)
Pareidolia (Bild)
Credits
Regie
Maria Petschnig
Darsteller*in
Maria Petschnig
Verfügbare Formate
DCP 2K flat
Bildformat
1:1,33
Festivals (Auswahl)
2009
Osnabrück - EMAF - European Media Art Festival
2010
Rotterdam - Int. Filmfestival