Burning Palace

Eine Bühne, Marmorsäulen, der rote Vorhang schließt sich. "You only have a split second of a pose to multiply your transgression." Wie eine provokante Handlungsanleitung klingt dieser erste Satz, der die Eröffnungssequenz einleitet: das Spiel von fünf Figuren, verstrickt in erotischem Innuendo, mehr Schein als Sein: Die pornographischen Posen sind lediglich in ihrem Schattenwurf sexuell interpretierbar. Tatsächlich im gleißenden Licht: fünf ProtagonistInnen, die sich aufwärmen für eine Nacht im Hotel "Burning Palace".

Noch selten erfuhr Körperpräzisionsarbeit eine derart dichte filmische Entsprechung wie in Mattuschkas/Harings neuem Film. In ausgetüftelten tableaux vivants erwachen schwitzige Leiber aus einer unruhigen, traumerfüllten Hotelnacht, räkeln ihre Männer- und Frauenkörper aus grotesken Posen hinein in eine Szenerie der Grenzüberschreitung: zwischen Objekten und Körpern, zwischen Tönen und Melodien, zwischen den Geschlechtern kommt es zu jenen kategorialen Übertretungen und Verschiebungen, die so typisch sind für Mattuschka. Durch eine für die Filmemacherin ganz bezeichnende Dringlichkeit des gestischen Ausdrucks, die durch die große, jedoch verwunderlicherweise stets unaufdringliche Nähe der Kamera zu den Körpern hergestellt scheint, kommt es zu einer mimetischen Kommunikation zwischen den Wesen (sind es wirklich Menschen?), die diesen Palast bevölkern.

Die verfremdete Soundscape aus Atmen, Singen, Sprechen, liefert die Architektur für die Logik des Bildaufbaus und bestimmt in zunehmender Unheimlichkeit (der Palast als Hotel, als Heterotopie) die Chronologie der Ereignisse, das Karnevaleske der Geste, die Materialität der Körper. Von "Paris is Burning" zu diesem Burning Palace: ein Katzensprung.

(Andrea B. Braidt)


Mara Mattuschkas neueste Arbeit Burning Palace, in Koregie mit Chris Haring gefertigt, war eine der betörendsten Arbeiten im Experimentalfilmsektor. Eine Reihe von Figuren wird in einem Hotel aus dem Schlaf geholt, und im Dämmerzustand entspinnt sich ein Spiel der Körper, das zwischen Entäußerung, Verführung und Isolation wechselt - und dabei auch nicht auf die Komik vergisst. Was sich hier alles räkelt, an Wänden entlangkriecht oder an Scheiben entlangschleimt, erweitert das Feld des Sicht- und Hörbaren auf ganz eigenständige Weise.

(Dominik Kamalzadeh, In: DER STANDARD, 21.3.2009)

Weitere Texte

Jurybegründung

Preis der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, 2009

"Dieses Jahr haben wir und für einen Film entschieden, in dem körperliche und emotionale Grenzen auf Atem beraubende, intelligente und publikumswirksame Weise gleichermaßen überschritten und neu definiert werden. Hervorheben möchten wir die konsequente filmische Umsetzung eines Bühnenstücks mit eindrucksvollen Tänzerinnen und Tänzern. Ton, Bild und Montage sind von einer sinnlichen Qualität, deren kluge Opulenz uns alle beeindruckt hat."

Jury Statement

Prize of the International Short Film Festival Oberhausen

"This year we chose a film in which physical and emotional borders are transgressed and redefined in an equally breathtaking, intelligent and spectacular manner. We would like to draw attention to the consistent cinematic adaptation of a stage play with a cast of impressive dancers. Sound, image and montage have a sensual quality whose intelligent opulence impressed us all."

Unraffiniert bis zum Exzess (Artikel)

Sven von Reden, In: taz.die tasgeszeitung, 25.3.2009


Der menschliche Körper ist eine Art Palast, in dem es brennt. Das Grazer Diagonale-Festival zeigte Arbeiten der Filmkünstlerin Mara Mattuschka


Maskiert, mit einer Peitsche in der Hand und zwei halbnackten Tiger-Frauen an der Leine nahm Mara Mattuschka vor vier Jahren auf der Grazer Diagonale einen Filmkunst-Preis entgegen. Ihr Auftritt als Mischung aus Zorro und Fearless Nadia sollte nicht die Auszeichnung lächerlich machen, sondern den, der sie vergab: Franz Morak, damaliger Staatssekretär für Kunst und Medien. Im Jahr zuvor hatte Morak versucht, das Festival des österreichischen Films in Staatsstreichmanier mit ihm genehmen Vasallen zu besetzen. Der Coup scheiterte am Widerstand der gesamten österreichischen Filmindustrie. Seitdem ist es ruhiger geworden um die Schau des österreichischen Films. Die letzten drei Jahre führte Birgit Flos das Festival, sie zog allerdings Kritik auf sich für eine allzu unentschiedene Auswahlpolitik. Ihre Nachfolgerin Barbara Pichler hat in ihrem ersten Festivaljahr das Programm entschlackt und ihm wieder mehr Profil verliehen.

Die diesjährige Auswahl belegte erneut, dass der österreichische Film gerade im Bereich der Filmavantgarde stark ist. Ein Höhepunkt an der Schnittstelle von Film, Performance-Art und Tanz war Mara Mattuschkas uraufgeführtes Werk „Burning Palace“, ihre vierte Zusammenarbeit mit dem Choreografen Chris Haring, die im Mai auf den Kurzfilmtagen in Oberhausen Deutschlandpremiere feiern wird.

Der Titel bezieht sich auf Eugene Delacroix’ Skandal-Gemälde „La mort de Sardanapale“, das die Ermordung der Konkubinen des letzten assyrischen Königs in seinem brennenden Palast zeigt. Die Anspielungen auf Kunstgeschichte und Mythologie im Film sind vielfältig. Wichtiger ist aber, dass Mattuschka ganz grundlegend den menschlichen Körper als eine Art Palast im Dauerbrand versteht. Schließlich ist die Grundlage des Lebens der andauernde Verbrennungsprozess von Energie. „Burning Palace“ heißt auch das Hotel, in dem die fünf Darsteller des Films logieren. Zu Beginn sieht man nur ihre Schatten. Scheinbar vergnügen sich die drei Frauen und zwei Männer bei einer Sexorgie. Aber das ist nur ein kunstvoll inszeniertes Trugspiel für den Kinozuschauer, der wie in Platons Höhle sitzend falsche Schlüsse aus den auf der Leinwand flackernden Schatten zieht.

Der Körper steht im Mittelpunkt von Mattuschkas Arbeit, das zeigte auch die Retrospektive ihres Filmschaffens, die die Premiere von „Burning Palace“ auf der Diagonale begleitete. Nicht zufällig haben ihre Filme eine Nähe zu den wichtigsten Genres des Körperkinos: dem Horror- und Pornofilm und dem Slapstick. Genau wird in den Filmen der 50-Jährigen der nackte Leib immer wieder unter die Lupe genommen, seine Öffnungen, Wölbungen, Falten. Er wird gestreckt, gedehnt, geöffnet. Sein Inneres wird nach außen gestülpt. Und oftmals fließen Körperflüssigkeiten. Diesen sezierenden Blick hat Mattuschka als bildende Künstlerin gelernt, bei der Zeichenarbeit am Modell in der Klasse ihrer Lehrerin Maria Lassnig (die gerade in Köln und Wien mit großen Ausstellungen geehrt wird). Auch wenn sie seit 1983 regelmäßig mit dem Medium Film arbeitet, sieht sich die gebürtige Bulgarin als Malerin – obwohl Mattuschka anders als Lassnig kaum Animationsfilme produziert hat.

Es liegt nahe, ihre Filme in die Tradition des Wiener Aktionismus einzureihen, sie selber sieht sie eher aus gleicher Quelle gespeist: aus dem Widerstand gegen einen „katholischen Reinlichkeitswahn“ – mit Charlotte Roche würde sich Mattuschka sicher gut verstehen. So masturbiert sie in „Es hat mich sehr gefreut“ in freier Natur vor einem gleißend hellen Bergpanorama, und in „Der Untergang der Titania“ badet sie in einer trüben Brühe, bis seltsame Monster aus dem Abflussrohr heraufsteigen.

Diese Tabubrüche sollen natürlich zur Befreiung von Tabuisierungen beitragen, zur Bewusstmachung des Unbewussten, zur Anerkennung menschlicher Triebhaftigkeit. Ohne Angst vor Peinlichkeiten und mit bisweilen brutaler Direktheit wird Verdrängtes hervorgezerrt. Ganz bewusst „unraffiniert bis zum Exzess“ seien die Bewegungen in ihren Filmen, sagt Mattuschka.

Dazu gehört Mut, zumal sie bis vor wenigen Jahren fast immer selber im Zentrum ihrer Filme stand. Allerdings unter dem Namen eines ihrer Alter Egos: Mimi Minus (bei Performances tritt Mattuschka auch als Mahatma Gobi, Madame Ping Pong oder Ramses II auf). Die stets mit schwarzer Perücke und dicker Schminke auftretende Mimi Minus weiß vorher nicht, wie der Film ausgeht, sagt Mattuschka, das hilft, ihrer Performance so etwas wie eine bewusste Unschuld zu bewahren.

Seit 2005 ersetzen professionelle Tänzer und Tänzerinnen Mimi Minus. Ungelenk sind die Bewegungen auf der Leinwand immer noch, aber eben sehr professionell ungelenk. Diese neueren Werke, in Farbe und auf Video gedreht, haben nicht mehr den trashigen Charme ihrer früheren 16-Millimeter-Schwarzweißfilme, trotzdem haben sie sowohl ihren Humor als auch ihren Horror bewahrt. Was zu einem guten Teil an der virtuosen Arbeit Mattuschkas mit dem Ton liegt.

In „Burning Palace“ erinnern nicht nur das rot-samtene Interieur des Hotels an den Filmregisseur David Lynch, sondern auch die bedrohlichen Soundlandschaften. Wie in allen Filmen Mattuschkas werden die Stimmen nachsynchronisiert und oft mit irritierenden bis absurd-komischen Effekten belegt, als seien die Darsteller von mehr oder minder freundlichen Dämonen besessen.

Körper und Geist bleiben seltsam voneinander getrennt in Mattuschkas Werk. Dazu passte ein Satz, den sie bei einem Publikumsgespräch in Graz fast beiläufig fallen ließ: „Was ich mir am meisten wünsche, ist, Urlaub von mir selbst zu nehmen.“

Die Choregografie verschiebt Perspektiven, die filmische Transformation akzentuiert die Verschiebung

Brigitta Burger-Utzer über 3 Filme von Mara Mattuschka mit Chris Haring - Legal Errorist (2005), Running Sushi (2008) & Burning Palace (2009)

Link: http://www.perfomap.de/map8/intermediale-prozesse/die-choreografie-verschiebt-perspektiven-die-filmische-transformation-akzentuiert-die-verschiebung/die-choreografie-verschiebt-perspektiven#_ftnref2
Orig. Titel
Burning Palace
Jahr
2009
Land
Österreich
Länge
32 min
Kategorie
Experimental
Orig. Sprache
Englisch
Credits
Regie
Mara Mattuschka, Chris Haring
Drehbuch
Mara Mattuschka, Chris Haring
Kamera
Josef Nermuth
Schnitt
Mara Mattuschka
Sound Design
Andreas Berger
Darsteller*in
Anna Maria Nowak, Katharina Meves, Alexander Gottfarb, Luke Baio, Stephanie Cumming
Choreographie
Chris Haring
Mit Unterstützung von
Wien Kultur, Innovative Film Austria
Verfügbare Formate
Digital File (prores, h264)
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,66
Tonformat
Dolby Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Festivals (Auswahl)
2009
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films
Marseille - FIDMarseille International Film Festival
New York MIX-NY, Queer Film Festival
Telluride - TIE International Experimental Film & Video Festival
Münster - Int. Filmfestival
London - BFI International Film Festival
Montréal - Festival du Nouveau Cinéma
Uppsala - Int. Short Film Festival
Dallas - Video Festival
Oberhausen - Int. Kurzfilmtage (Preis der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen)
2010
Berlin - Transmediale (Festival for digital art)
Stuttgart - Filmwinter, Expanded Media Festival
Rotterdam - Int. Filmfestival
Paris - Hors Pistes Festival au Centre Pompidou
Wien - VIS Vienna Independent Shorts
Brive - Rencontres du Moyen Mètrage
Marfa - Marfa Film Festival
Wroclaw - New Horizons Festival
Lissabon - Queerlisboa Lesbian & Gay Festival
2011
Kaunas Int. Film Festival