Der Ort der Zeit
Der Film besteht aus einer Folge von Einstellungen mit einer linearen raumzeitlichen Kontinuität. Jede Einstellung ist starr, es gibt keinen Schwenk, keine Fahrt. Die Einstellungen überlappen sich, so daß jedes Bild (außer dem ersten) Elemente des vorherigen in sich hat. Der Kamerastandpunkt verschiebt sich immer ein Stück nach rechts, durchgehend durch den ganzen Film. Auf diese Weise entsteht eine topographische Erfassung der Örtlichkeit, scheinbar ohne Rücksicht darauf, was sich dort abspielt. Denn da das "Vorwärtsschreiten" der Bilder einem eigenen Rhythmus unterworfen ist, kommen Geschehnisse, Aktionen, Handlungen ins Bild und verschwinden wieder daraus ohne Rücksicht auf die ihnen eigene Logik. Gerade die Genauigkeit der Bildfolgen macht das Geschehen fragmentarisch. Aus der Bildverschiebung wird eine Bedeutungsverschiebung: Nicht nur strukturiert die Handlung nicht die Bilder (wie sonst im Kino), die Struktur schafft auch keine Handlung, hebt sie vielmehr auf und relativiert sie.
Das ist auch das Thema des Films: das Geheimnis der Dinge in dem großen raum-zeitlichen Bogen - das Nicht-Erkennen-, das Nicht-Erfassen-Können, das Nicht-Wissen.
Dieser Bogen stellt sich im Film als Miniatur dar: 24 Stunden (Morgen, Tag, Abend, Nacht, Morgen) verdichten sich zu 40 Minuten. (H. S.)
Thomas Korschil zu Der Ort der Zeit von Hans Scheugl
Als die österreichische Avantgarde-Filmszene Anfang der 80er Jahre eine Wiederbelebung erfuhr, wandte sich auch Scheugl nach längerer Abstinenz wieder der filmischen Praxis zu. Die erste Arbeit schließt konsequent an sein lebendig fruchtbares Frühwerk der 60er Jahre an. Der Ort der Zeit ist noch einmal nicht weniger als eine direkt sinnlich erfahrbar gemachte philosophische Auseinandersetzung mit Raum und Zeit, - den grundlegenden Formen unserer Wahrnehmung -, die hier weitaus überzeugender und eindrucksvoller gelingt als in den gröberen frühen Arbeiten.
Der Film bietet ein synthetisches Raum-Zeit-Kontinuum, eine einzige "bewegungslose" Kamerafahrt, und gleichzeitig eine bunte Collage aus einer Vielzahl von Episoden, aufgenommen an über einem Dutzend verschiedener locations. Infolge der kontinuierlichen seitlichen Verschiebung des Kamerastandpunktes überlappen sich die starren Einstellungen, sodaß jedes Bild einen Teil des vorangegangenen enthält. Durch Manipulation beweglicher Objekte im Vordergrund (z. B. die blauen Fässer) und das Ausnützen des (filmisch) vollkommenen Nachtdunkels, werden unzusammenhängende Teilstücke an der Peripherie Wiens zu einem vorgeblichen Ganzen montiert. Große Einheit und zugleich Komposition aus räumlichen und narrativen Fragmenten; Stillstand im unerbittlichen Fortgang der Zeit/Kamera; durch den Schnitt implizierte Realzeit (lückenlose Kontinuität von Handlungen über mehrere Einstellungen) und zeitliche Komprimierung (eines 24-Stunden-Umlaufs auf Filmlänge) - in solchen Paradoxa liegt die Spannung des Films, dem es gelingt, den Betrachter in eine Meditation über das "Geheimnis der Dinge...das Nicht-Erfassen-Können" (Scheugl) zu ziehen. (1995)