Der Ort der Zeit

Der Film besteht aus einer Folge von Einstellungen mit einer linearen raumzeitlichen Kontinuität. Jede Einstellung ist starr, es gibt keinen Schwenk, keine Fahrt. Die Einstellungen überlappen sich, so daß jedes Bild (außer dem ersten) Elemente des vorherigen in sich hat. Der Kamerastandpunkt verschiebt sich immer ein Stück nach rechts, durchgehend durch den ganzen Film. Auf diese Weise entsteht eine topographische Erfassung der Örtlichkeit, scheinbar ohne Rücksicht darauf, was sich dort abspielt. Denn da das "Vorwärtsschreiten" der Bilder einem eigenen Rhythmus unterworfen ist, kommen Geschehnisse, Aktionen, Handlungen ins Bild und verschwinden wieder daraus ohne Rücksicht auf die ihnen eigene Logik. Gerade die Genauigkeit der Bildfolgen macht das Geschehen fragmentarisch. Aus der Bildverschiebung wird eine Bedeutungsverschiebung: Nicht nur strukturiert die Handlung nicht die Bilder (wie sonst im Kino), die Struktur schafft auch keine Handlung, hebt sie vielmehr auf und relativiert sie.
Das ist auch das Thema des Films: das Geheimnis der Dinge in dem großen raum-zeitlichen Bogen - das Nicht-Erkennen-, das Nicht-Erfassen-Können, das Nicht-Wissen.
Dieser Bogen stellt sich im Film als Miniatur dar: 24 Stunden (Morgen, Tag, Abend, Nacht, Morgen) verdichten sich zu 40 Minuten. (H. S.)

Weitere Texte

Thomas Korschil zu Der Ort der Zeit von Hans Scheugl

Ein weiterer und der bislang wohl konsequenteste Versuch Scheugls, alltägliche Zeit-Raum-Erfahrung in Frage zu stellen und zumindest vorübergehend - zu überwinden. Wir könnten uns natürlich Erlebnisse ähnlich denen, die Scheugl uns anbietet, mit freiem Auge, in freier Natur sozusagen, selbst gestalten. Die damit verbundenen Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten werden uns jedoch alsbald von solchen Verrücktheiten zurückschrecken lassen; dies sollten wir uns vor Augen halten, meinten wir, als Betrachter, dieser (oder ein anderer gleichwertiger) Film - als Destillat - sei "schwierig". Weiters läßt uns diese Vorstellung im Zusammenhang mit dem im Vergleich zu Scheugls früheren Filmen äußerst geschliffenen Ort der Zeit erkennen, daß es nicht nur nicht einfach die (alltägliche) Wirklichkeit ist, die abgebildet wird, sondern, daß auch das Filmmaterial mit seinen Möglichkeiten letztendlich nur Medium also "Mittel" ist zur Darstellung von Bewußtsein und möglichem Sein. (1993)

Als die österreichische Avantgarde-Filmszene Anfang der 80er Jahre eine Wiederbelebung erfuhr, wandte sich auch Scheugl nach längerer Abstinenz wieder der filmischen Praxis zu. Die erste Arbeit schließt konsequent an sein lebendig fruchtbares Frühwerk der 60er Jahre an. Der Ort der Zeit ist noch einmal nicht weniger als eine direkt sinnlich erfahrbar gemachte philosophische Auseinandersetzung mit Raum und Zeit, - den grundlegenden Formen unserer Wahrnehmung -, die hier weitaus überzeugender und eindrucksvoller gelingt als in den gröberen frühen Arbeiten.
Der Film bietet ein synthetisches Raum-Zeit-Kontinuum, eine einzige "bewegungslose" Kamerafahrt, und gleichzeitig eine bunte Collage aus einer Vielzahl von Episoden, aufgenommen an über einem Dutzend verschiedener locations. Infolge der kontinuierlichen seitlichen Verschiebung des Kamerastandpunktes überlappen sich die starren Einstellungen, sodaß jedes Bild einen Teil des vorangegangenen enthält. Durch Manipulation beweglicher Objekte im Vordergrund (z. B. die blauen Fässer) und das Ausnützen des (filmisch) vollkommenen Nachtdunkels, werden unzusammenhängende Teilstücke an der Peripherie Wiens zu einem vorgeblichen Ganzen montiert. Große Einheit und zugleich Komposition aus räumlichen und narrativen Fragmenten; Stillstand im unerbittlichen Fortgang der Zeit/Kamera; durch den Schnitt implizierte Realzeit (lückenlose Kontinuität von Handlungen über mehrere Einstellungen) und zeitliche Komprimierung (eines 24-Stunden-Umlaufs auf Filmlänge) - in solchen Paradoxa liegt die Spannung des Films, dem es gelingt, den Betrachter in eine Meditation über das "Geheimnis der Dinge...das Nicht-Erfassen-Können" (Scheugl) zu ziehen. (1995)


Thomas Rothschild zu Der Ort der Zeit von Hans Scheugl (Kritik)

Eine der wenigen Ausnahmen liefert da Hans Scheugl mit Der Ort der Zeit. Mit unerbittlicher Konsequenz, mit halsstarriger Ausdauer erinnert er 40 Minuten lang daran, daß Raum und Zeit im Film durch Kamerastandpunkt und Schnitt konstituiert werden, indem er seine Kamera unermüdlich ohne Schwenks und Fahrten von Schnitt zu Schnitt vorwärtsschreiten läßt, unabhängig vom ohnedies minimalisierten Geschehen, das sich kontrapunktisch in den Bildausschnit oder aus diesem heraus drängt. Die Kamera folgt nicht den Objekten, sondern geht ihren eigenen Gang, derart den Ablauf von (filmischer) Zeit und die Tiefe von Räumen sinnlich erfaßbar machend.
Orig. Titel
Der Ort der Zeit
Jahr
1985
Land
Österreich
Länge
40 min
Regie
Hans Scheugl
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Credits
Regie
Hans Scheugl
Kamera
Tamas Uljaki
Musik
Hiro Kurosaki
Schnitt
Herbert Baumgartner
Darsteller*in
Luigi Trenkler, Susanne Gross, Giacomo, Gerhard Swoboda, Janine Solich, Susanne Zanke, Anna Swoboda, Tim Sharp, Linda Christanell, Ferdinand Stahl
Ausstattung
Gerhard Jax
Produktion
Hans Scheugl
Verfügbare Formate
16 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Festivals (Auswahl)
1985
Luzern - Film Video Performance Tage
1986
Rotterdam - Int. Filmfestival
Berlin - Int. Filmfestspiele
Salso - Film & TV festival
1996
Pesaro - Film Festival
1997
Graz - film+arc.