Hypercrisis

Das ehemalige Erholungsheim der sowjetischen Filmschaffenden im Südkaukasus wurde umgewidmet und beherbergt nun Literaten. Auch das scheint nicht mehr optimal zu funktionieren. So findet sich gegenwärtig nur die Moskauer Nachwuchshoffnung aus der Zeit der Perestroika Boris Martow auf der Gästeliste.

Im verblassten Glanz der Anstalt für privilegierte Künstler versucht der Dichter seine anhaltende Schaffens- und Konzentrationskrise zu überwinden. Wenig Unterstützung kann ihm dabei das Personal des Hauses bieten. Insbesondere die höhergestellten Herren haben es sich wie die Maden im Speck eingerichtet. Sie scheinen primär eigenen Genüssen anstatt fremden Wünschen nachzukommen.

Dennoch wird eine gemeinsame Feier organisiert. Im Kinosaal der Anlage kommt es zum Showdown des Systems: Das indisponierte Publikum langweilt sich bei der Musikdarbietung der hochbegabten Zwillingsschwestern Arevshatyan und des Dichters Nervenkrise erreicht just während der Feierlichkeit einen neuen Tiefpunkt.

(Josef Dabernig)


Auch der Österreicher Josef Dabernig brachte eine ebenso kurze wie eindringliche Arbeit nach Venedig, die aus der Architektur genuin filmische Wirkung schlug: Der Raum gibt der Zeit im Kino erst ihre Tiefe. … Josef Dabernig legte mit Hypercrisis eine neue seiner lakonischen Schauplatzstudien vor – das Dokument eines Orts, der da zugleich als Bühne sonderbarer Inszenierungen fungiert. Nahe der armenischen Kleinstadt Dilijan fand Dabernig ein ehemaliges Sowjet-Künstlererholungsheim, in das er sein Ensemble schleuste (mit dabei: der Maler Otto Zitko) und mit ihm dort eine Reihe rätselhafter Rituale arrangierte. 17 Minuten lang wird in Hypercrisis spaziert, herumgelungert, vor allem aber gegessen, werden Knackwürste aus Töpfen gehoben und allerlei Gemüsevariationen verzehrt. Hypercrisis ist nicht zuletzt ein Akt der Konservierung sowjetischer Architektur: Die fantastische Location des Films wurde wenige Tage nach Ende der Dreharbeiten einem Umbau unterzogen und damit wohl unwiederbringlich zerstört. Das Kino hat die Macht, Vergehendes zu bewahren und seine schönen Einzelteile zu betonen: In Dabernigs Ennui-Komödien erscheinen Musik, Baukunst, Design und Schauspiel gleichrangig, kein Element überstrahlt das andere und allen und allem wird hier ironisch Gerechtigkeit getan.

(Stefan Grissemann)

Orig. Titel
Hypercrisis
Jahr
2011
Land
Österreich
Länge
17 min
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Kein Dialog
Credits
Regie
Josef Dabernig
Drehbuch
Josef Dabernig
Kamera
Christian Giesser
Musik
Giuseppe Verdi
Schnitt
Josef Dabernig
Sound Design
Elisabeth Hildebrandt, Michael Palm
Darsteller*in
Eduard Arevshatyan, Ruben Arevshatyan, Shushan Arevshatyan, Josef Dabernig, Wolfgang Dabernig, Angela Dolidze, Alfons Egger, Goschka Gawlik, Zaruhi Hovhannisyan, Christian Kravagna, Gagik Nshanyan, Karen Poghosyan, Daniel Shvelidze, Konstantin Shvelidze, Ingeburg Wurzer, Otto Zitko, Isabella Hollauf, Harutyun Alpetyan, Arusiak Arevshatyan
Produktion
Josef Dabernig
Mit Unterstützung von
Innovative Film Austria, Wien Kultur, Galerie Andreas Huber
Verfügbare Formate
35 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,85
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Digital File (prores, h264)
Festivals (Auswahl)
2011
Venezia - Mostra Internazionale d`Arte Cinematografica - Concorso Orizzonti (Venice Short Film Nominee for the European Film Awards)
Mar del Plata - Int. Film Festival
Kaunas Int. Film Festival
European Film Academy (Nominiert in der Kategorie "Bester europäischer Kurzfilm 2011")
2012
Odense - Int. Film Festival
Tampere - Film Festival
Trondheim - Minimalen Short Film Festival
New York - Migrating Forms
Montréal - Festival du Nouveau Cinéma
Madrid - Semana de Cine Experimental
Utrecht - Impakt Festival
Villach, Udine, Ljubljana - K3 Short Film Festival
Timisoara - Timishort Film Festival
Bukarest - NexT International Short Film Festival
Graz - Diagonale, Festival des österreichischen Films (Preis für Innovatives Kino)
Wien - VIS Vienna Independent Shorts
2013
Basel - Clair-obscur Filmfestival
Basel - Clair-obscur Filmfestival