Eine eiserne Kassette
1985 sorgte der österreichische Politiker Friedhelm Frischenschlager für einen Skandal, weil er den früheren SS-Offizier und Kriegsverbrecher Walter Reder in Wien am Flughafen in Empfang nahm, als dieser nach Verbüßung einer langen Haftstrafe in Italien zurückkehrte. Reder war die Schlüsselfigur im Zusammenhang einer Reihe von Massakern, die deutsche Truppen auf dem Rückzug durch Oberitalien im Jahr 1944 an der Zivilbevölkerung verübten. Eines der Mitglieder in den SS-Formation von Reder war Olaf Jürgenssen, der als Sanitäter diente. Nebenbei machte er zahlreiche fotografische Aufnahmen, wovon einzelne Abzüge in einer eisernen Kassette aufbewahrt wurden, deren Negative sein Enkel Nils Olger im Nachlass fand. Der Filmemacher nimmt dieses Familienerbe zum Anlass einer Reise auf den Spuren des Großvaters. Es ist auch eine Reise durch die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs, von Ungarn nach Italien und schließlich zurück nach Österreich, wo Jürgenssen schließlich entnazifiziert wurde, heiratete und eine erfolgreiche Karriere als Arzt begann. Die fotografischen Negative dienen Olger als Anhalts- und Ausgangspunkte, er vergleicht Landschaften und Gebäude damals und heute, und er kommt mit Menschen ins Gespräch, die sich noch an die Geschehnisse erinnern können. Die Fotografien in der eisernen Kassette enthalten eine Suggestion von Distanz, die der nachgeborene Betrachter durch Recherche und Kontemplation aufzubrechen versucht. In einem Videointerview, das Olger kurz vor dessen Tod mit seinem Großvater aufgenommen hat, zeigte sich dieser abwehrend und wollte mit den Verbrechen der Deutschen nichts zu tun gehabt haben. Aus seinem ruhigen und im besten Sinn gedächtnispolitischen Film zieht Nils Olger eine pointierte Schlussfolgerung: "Was werde ich von meinem Großvater in Erinnerung behalten? Negatives." (Bert Rebhandl)
Eine eiserne Kassette
2018
Österreich, Deutschland
102 min