Erwin

Statt in seinem Haus hält sich Erwin die meiste Zeit im Wohnwagen daneben auf, wo er sich mit Laptop, Bett, Kaffeemaschine, Fernseher eingerichtet hat. Auch Jan Soldats Porträt des 58-Jährigen bringt Wesentliches auf engem Raum zusammen und lässt das dekorative Beiwerk gängiger Hausbesuchs-Dokus weg. In wenigen, nüchternen Kadrierungen entspinnt sich ein Gespräch. Erwin berichtet dem Filmemacher von seiner aktuellen Webcam-Ausstattung für Sexchats, von den beiden großen Lieben seines Lebens (samt Sorge um deren Partnerinnen und Kinder), von Verwerfungen in der Familie und der Sorge um die drohende Streichung seiner Notstandshilfe durch die Regierung. Wie viele andere Filme Soldats nimmt Erwin seinen Ausgangspunkt bei sexuellen Routinen. Begehren wird nicht zur Schau gestellt oder ausgedeutet, sondern als Bestandteil so alltäglicher wie unterdokumentierter Lebens- und Beziehungsweisen eingefangen. Zu diesen Beziehungen gehört auch die filmische Begegnung zwischen Filmemacher und Porträtiertem: Soldats freundlich direktes Nachfragen und Erwins konzentrierte Auskunftsfreude und Lust am Agieren vor der Kamera verhindern die Schließung in biographischen Erklärformeln. Erwins Selbstperformance als „geile Sau“ mit Klemmen an den Brustwarzen und sexuellen Fantasien vom eigenen Vater, die Widrigkeiten einer schwulen Durchschnittsbiografie am österreichischen Land seit den 1970er Jahren und die räumlich-soziale Abkapselung im blickdichten Wohnwagen mit Laptop als Fenster koexistieren in Erwin, ohne dass eins mehr über Erwin erzählen möchte als das andere. Wenn uns zum Schluss ein blanker Hintern verabschiedet, ist bereits klar, dass Enthüllung hier vor allem der Selbstbehauptung und Kontaktaufnahme dient. (Joachim Schätz)

Orig. Titel
Erwin
Jahr
2020
Länder
Österreich, Deutschland
Länge
16 min
Regie
Jan Soldat
Kategorie
Dokumentarfilm
Orig. Sprache
Deutsch
Untertitel
Englisch
Downloads
Erwin_01 (Bild)
Credits
Regie
Jan Soldat
Konzept & Realisation
Jan Soldat
Produktion
Jan Soldat
Verfügbare Formate
DCP 2K flat (Distributionskopie)
Bildformat
4:3
Tonformat
Stereo
Bildfrequenz
25 fps
Farbformat
Farbe
Digital File (prores, h264) (Distributionskopie)
Festivals (Auswahl)
2020
Mexico City - Mix Mexico y diversidad
Brussels - Courts Mais Trash
Zürich - Porny Days Festival
Palermo – Sicilia Queer Filmfest (Special Mention - Short Film Competition)
Odense - Int. Film Festival
Leipzig - Dok Leipzig - Int. Festival für Dok.- u. Animationsfilm (Silberne Taube)
Lausanne LUFF Underground Film Festival
2021
London - FRINGE! Queer Film & Arts Fest
London Short Film Festival
Hamburg - Dokumentarfilmwoche
Oslo - Fusion International Film Festival (Special mention)
Berlin - Achtung Berlin! (Lobende Erwähnung)
Weiterstadt Open Air Film Festival
Brüssel – Courts Mais Trash
Barcelona MECAL Short Film Festival
Leiden - International Short Film Festival