Life on the Horn
Zwei Männer kauern auf ihren Liegestätten, noch halb benommen vom Schlaf. Durch einen Türspalt dringt der Wind in ihre karge Behausung. Nach einer Weile reicht der jüngere dem älteren eine Tablette. Es sei die letzte, fügt er hinzu. In prägnanten Tableaus wie diesem, festgehalten in berückendem Schwarzweiß, entfaltet sich die Geschichte einer alltäglichen Katastrophe an der somalischen Küste. Während der Sohn für seinen sterbenden Vater sorgt, entleert sich ringsum der Landstrich. Die Nachbarn sind dabei, das Weite zu suchen, und auch die Baustelle, wohin der junge Mann eine Ladung Sand transportiert, ist längst verlassen. Nur der Bauherr ist noch da, die Gebetskette sein einziger Halt.
Mehrere Jahrzehnte lang haben europäische Zwischenhändler am Horn von Afrika illegal Giftmüll ins Meer gekippt, allen voran die ehemalige Kolonialmacht Italien, mutmaßlich im Austausch für Waffenlieferungen an örtliche Kriegsparteien. Seit dem Erdbeben, das im Jahr 2004 die Region erschütterte, und dem Tsunami in seinem Gefolge ist das somalische Küstengebiet kontaminiert.
Wie zeigt man eine solche, “langsame” Katastrophe, deren Ursachen und Folgen sich über mehrere Menschenleben erstrecken? Life on the Horn erzählt elliptisch, fast wortlos, nur das Nötigste, und findet dabei präzise, hoch empfindliche Bilder, die diese chronische Gewalt registrieren – in Blicken, Gesten, Landschaften. Regisseur Mo Harawe, aus Mogadischu gebürtig und seit 2009 in Österreich lebend, zeichnet eine Umwelt, die sich ihren Bewohnern geradezu körperlich einprägt, ob als Atemnot oder ein alles durchdringendes Gefühl von Verlassenheit. Life on the Horn ist politisches Erzählkino als Trauerarbeit: Mit minimalen Mitteln gelingt es dem Film, das Unfassbare fassbar zu machen. (Nikolaus Perneczky)
Seit Jahrzehnten wird an der Küste Somalias illegal Giftmüll abgelagert. Das Tsunami-Erdbeben im Jahr 2004 beschädigte die vergifteten Container, was zur Verbreitung von Krankheiten führte. Viele Menschen vor Ort mussten ihre Dörfer verlassen, aber einige blieben und leben mit den Folgen.
Life on the Horn
2020
Somalia, Österreich, Deutschland
25 min
Kurzspielfilm
Somali
Englisch, Französisch, Italienisch