Lacrimosa
Begräbniszeremonien in der Mansarde einer spooky Villa. Die betagte Tante schart Ihre Urgroßnichten zum Trauergebet rund um einen Kindersarg. Gefaltete Hände, verstohlene Blicke, Rosenkranz und Leibstuhl sind Ingredienzen eines exzentrischen Kinderspiels, in welchem die illustre Gruppe zwischen Einschüchterung, Rebellion und einer gefährlichen Treppe über Seinsfragen stolpert. (Produktionsnotiz)
In den Filmen von Josef Dabernig sind Orte, Interieurs, Ecken und Winkel wie auch die darin gespeicherten Erinnerungsräume Hauptdarsteller, belebte Materie. Für Lacrimosa gilt dieser Grundsatz gleich doppelt. Schauplatz der Handlung, die das Reenactment eines fernen Kindheitserlebnisses sein könnte, ist die Mansarde einer Villa. Sie zeigt, zunächst in Bildfragmente zerlegt, auf eine Abwesenheit: ein leeres Bett, verwaiste Kleiderbügel, Relikte einer aus der Zeit gefallenen Objektwelt. Erst dann folgt der Auftritt der menschlichen Akteur:innen: Hände, junge und alte, im Gebet gefaltet oder mit den Perlen eines Rosenkranzes beschäftigt, die nackten Fußsohlen eines knienden Kindes. Zentrum der etwas wundersamen Choreografie aus Wiederholungsmustern (und kleinen Systemfehlern) ist ein aufgebockter Kindersarg, der später auf riskante Weise durch ein enges Treppenhaus manövriert wird. Um diesen schart sich zu den repetitiven Klängen eines Trauermarschs eine Gruppe zum Abschiedsgebet. Sie besteht aus Dabernigs Tante und seinen Enkelkindern, Kittelschürze, Leggings und Batik-T-Shirt. Gelegentlich schleichen sich in die religiösen Rituale der Begräbniszeremonie andere, ‚moderne‘ Praktiken wie das Wischen über ein mobiles Endgerät. Und plötzlich nehmen sich auch die Kordeln einer Jogginghose wie die Nachfolger der Gebetskette aus.
Der Ort, der sich in der von Bruno Pellandini verfassten Voiceover-Erzählung (es spricht Johanna Orsini) mit diesem Setting verwebt, ohne je mit ihm deckungsgleich zu werden, befindet sich auf einer anderen Zeitachse. In der detailgenauen Beschreibung eines Hauses erscheint der Raum als ein atmender Organismus, gemacht aus Haut und Knochen. Erinnerungen an Geräusche, Texturen, ein Begräbnis und das Vorleben des Familienhauses als Stellmacherei, legen eine autobiografische Spur. Oder steht hinter Lacrimosa, benannt nach dem liturgischen Part in der Mitte eines Requiems, vielleicht eine Autofiktion? „Kannst du dich erinnern? Oder hat man es Dir nur erzählt?“ (Esther Buss)
Lacrimosa
2024
Österreich
11 min
Avantgarde/Kunst, Kurzspielfilm
Deutsch
Englisch