Rutt Deen

Indien; bei einem Straßenhändler kauft eine Hindu-Frau eine Tasse Tee. Nach ein paar Schlucken reicht sie die Schale einem Bettelmädchen weiter, das sich zögernd genähert hat. Die Kamera schwenkt in den Himmel, erfaßt ein Flugzeug.


Ankunft in Wien-Schwechat. Ein Fotograf, wie wir später erfahren, kehrt zurück. Zunächst die lange Fahrt im Taxi hinein nach Wien. Eine Erzählerstimme, die einen Bilderfluß entstehen läßt und sein Funktionieren vorgibt, bricht zunehmend am Überhang der Bilder, die sich der Ordnung und Sicherheit der Gedankenwelt entziehen. Je ordentlicher die Welt, in die der Fotograph zurückkehrt, desto mehr gerät die Ordnung des Erzählers aus dem Tritt, driften die Bilder in die Asynchronität des Nichtzuvereinbarenden. Schon nach wenigen Minuten hat Rutt Deen die Atmosphäre eines Jet-Lags in unsere Wahrnehmung ziehen lassen.
Der Sprung zwischen den Kontinenten ist so gewaltig wie der zwischen Traum und Wachen, zwischen Nacht und Tag und doch gehört zu den ständigen wiederkehrenden Bildern der Erinnerung eine Wirklichkeit. Indien: das ist Hyperrealität, gemessen am Komfort der „ersten“, der uns vertrauten Welt. Schon die Frage des Zimmermädchens im Hotel, ob noch etwas gewünscht sei, verliert ihre Unschuld in der harten Montage dieses sozialen Kontinentaldrifts. Die Figur des Fotografen dient Hans Scheugl als Schnittstelle, an der die beiden Welten sich brechen – Wien und Calcuttta – und die ihn in beiden zum Fremden machen.
Die Begegnung der Geschlechter ist im Film ebenfalls mit eingewoben und auch hier: Differenz, Ferne, so nah man sich kommen will. „Ich weiß so wenig von dir, wenn du weg bist“, sagt die Freundin dem Zurückkehrenden. Er flüchtet in den Hinweis, dass die ersten Fotos bereits entwickelt im Hotel liegen. Er hat keine Sprache für das, wovon die Bilder der Erinnerung berichten. Die Kluft der Welten ist so groß, dass eine Sprache, die vermitteln könnte, in ihr versunken ist.
Als wollte er in der Heimat endlich eintreffen, begibt sich der Fotograf auf einen Spaziergang durch Wien. Es ist der Versuch, in der nächtlichen Stille und erleuchteten Schönheit der Stadt wieder Fuß zu fassen. Es misslingt. Er verirrt sich in den Straßen wie ein Fremder. Zurück im Hotel „Bellevue“ tritt an seine Stelle das Bild des Hotels „Rutt Deen“: „Nacht Tag“ heißt das; zwei Pole, die sich bedingen und nicht zu versöhnen sind, auch wenn „Rutt Deen“ für eine der in Indien glanzvollen Hochzeiten geschmückt ist. Es ist ein Glanz, der nur kurz die Nacht zu erhellen vermag.
(Peter Tscherkassky)

Orig. Titel
Rutt Deen
Jahr
1993
Land
Österreich
Länge
60 min
Regie
Hans Scheugl
Kategorie
Avantgarde/Kunst
Orig. Sprache
Deutsch
Downloads
Rutt Deen (Bild)
Credits
Regie
Hans Scheugl
Drehbuch
Hans Scheugl
Kamera
Reinhard Kofler, Tamas Uljaki
Musik
Ulf Langheinrich
Schnitt
Hans Scheugl
Ton
Jimmy French, Bernhard Bamberger
Darsteller*in
Gabriele Heckel, Claudia Martini, Walter Sachers
Produktion
Helmut Grasser
Verfügbare Formate
16 mm (Distributionskopie)
Bildformat
1:1,37
Tonformat
Mono
Bildfrequenz
24 fps
Festivals (Auswahl)
1994
Rotterdam - Int. Filmfestival
Barcelona - L’ALTERNATIVA - II Mostra Internacional de Cinema Alternatiu
1995
Riga - Arsenals - Int. Film Festival
New Dehli - Int Film Festival
Calcutta - Int. Film Festival